Da – pl?tzlich noch einmal – hinter der gr?nen, vom Mondlicht durchleuchteten, gleichsam in Silber gestickten Wand, die wei?e Gestalt, das sch?ne Weib von Stein. Ich f?rchte es. Ich fliehe.
Mit ein paar S?tzen bin ich im Haus und hole Atem und denke nach.
Nun, was bin ich jetzt eigentlich, ein kleiner Dilettant oder ein gro?er Esel? Ein schw?ler Morgen. Die Luft ist matt, stark gew?rzt, aufregend. Ich sitze wieder in meiner Laube und lese in der Odyssee von der reizenden Hexe, die ihre Anbeter in Bestien verwandelt. K?stliches Bild der antiken Liebe.
In den Zweigen und Halmen rauscht es leise und die Bl?tter von meinem Buch rauschen und auf der Terrasse rauscht es auch.
Ein Frauengewand – Da ist sie – Venus – aber ohne Pelz – nein, diesmal ist es die Witwe – und doch – Venus – oh! welch ein Weib!
Wie sie da steht im leichten, wei?en Morgengewande und auf mich blickt, wie poetisch und anmutig zugleich erscheint ihre feine Gestalt. Sie ist nicht gro?, aber auch nicht klein, und der Kopf, mehr reizend, pikant – im Sinne der Franz?sischen Marquisenzeit – als streng sch?n, aber doch wie bezaubernd. Welche Weichheit, welcher holde Mutwille. Nicht zu kleinen Mund – die Haut ist so unendlich zart, dass ?berall die blauen Adern durchschimmern, auch durch den Mousselin, welcher Arm und Busen bedeckt. Wie ?ppig ringelt sich das rote Haar – ja, es ist rot – nicht blond oder goldig – wie d?monisch und doch lieblich spielt es um ihren Nacken. Und jetzt treffen mich ihre Augen wie gr?ne Blitze. Ja, sie sind gr?n, diese Augen, deren sanfte Gewalt unbeschreiblich ist. Gr?n, aber so wie es Edelsteine, wie es tiefe, unergr?ndliche Bergseen sind.
Sie bemerkt meine Verwirrung. Das macht mich sogar unartig, denn ich blieb sitzen und habe noch meine M?tze auf dem Kopf. Sie l?chelt schelmisch. Ich erhebe mich endlich und gr??e sie. Sie kommt n?her und bricht in ein lautes, beinahe kindliches Lachen aus. Ich stottere, wie nur ein kleiner Dilettant oder gro?er Esel in einem solchen Augenblick stottern kann.
So machen wir unsere Bekanntschaft.
Die G?ttin fragt um meinen Namen und nennt mir den ihren. Sie hei?t Wanda von Dunajew.
Und sie ist wirklich meine Venus.
«Aber Madame, wie kamen Sie auf den Einfall?»
«Durch das kleine Bild, das in einem Ihrer B?cher lag —»
«Ich habe es vergessen.»
«Die seltsamen Bemerkungen auf der R?ckseite —»
«Warum seltsam?»
Sie sah mich an. «Ich habe immer den Wunsch gehabt, einmal einen ordentlichen Phantasten kennenzulernen. Die Abwechslung. Nun, Sie scheinen mir nach allem einer der tollsten.»
«Meine Gn?dige – in der Tat —» wieder das eselhafte Stottern und nochdazu ein Err?ten, wie es f?r einen jungen Menschen von sechzehn Jahren wohl passen mag. Aber f?r mich, der beinahe volle zehn Jahre ?lter -
«Sie haben sich heute Nacht vor mir gef?rchtet.»
«Eigentlich – allerdings – aber wollen Sie sich nicht setzen?»
Sie nahm Platz und bewunderte meine Angst. Denn ich f?rchtete mich jetzt, bei hellem Tageslicht, noch mehr vor ihr. Ein reizender Hohn zuckte um ihre Oberlippe.
«Sie sehen die Liebe und vor allem das Weib», begann sie, «als etwas Feindseliges an. Etwas, wogegen Sie, wenn auch vergebens Gewalt Sie aber als eine s??e Qual, eine Grausamkeit f?hlen. Eine echt moderne Anschauung.»
«Sie teilen sie nicht.»
«Ich teile sie nicht», sprach sie rasch und sch?ttelte den Kopf, dass ihre Locken wie rote Flammen emporschlugen.
«Mir ist die heitere Sinnlichkeit von der Freude ohne Schmerz – ein Ideal. Ich strebe es in meinem Leben zu verwirklichen. Denn an jene Liebe, welche das Christentum, welche die Modernen, die Ritter vom Geiste predigen, glaube ich nicht. Ja, sehen Sie mich nur an, ich bin weit schlimmer als eine Ketzerin, ich bin eine Heidin.
›Glaubst du, wie lange die G?ttin der Liebe nachgedacht hat, als ihr eines Tages im Id?ischen Anchises[19 - Anchises – Анхис, Анхиз (в древнегреческой мифологии – герой из рода дарданских царей, правнук легендарного Троя, сын Каписа и Фемисты)] gefiel?‹
Diese Verse aus Goethes r?mischer Elegie haben mich sehr entz?ckt. In der Natur liegt nur Liebe der herrischen Zeit, ›da G?tter und G?ttinnen liebten‹. Damals ›folgte Begierde dem Blick, folgte Genuss der Begier‹.
Alles andere ist gemacht und affektiert. Das Kreuz, ein grausames Emblem, vom Christentum hat etwas Entsetzliches f?r mich. Der Kampf des Geistes mit der sinnlichen Welt ist das Evangelium der Modernen. Ich will keinen Teil daran.»
«Ja, Ihr Platz w?re im Olymp, Madame», sagte ich. «Aber wir Modernen dulden einmal die antike Heiterkeit nicht. Am wenigsten in der Liebe. Die Idee, ein Weib mit anderen zu teilen emp?rt uns. Wir sind eifers?chtig wie unser Gott. So ist der Name der herrlichen Phryne bei uns zu einem Schimpfwort geworden. Wir ziehen eine d?rftige, blasse Jungfrau, die uns allein geh?rt, einer antiken Venus vor, wenn sie noch so g?ttlich sch?n ist. Aber heute den Anchises, morgen den Paris, ?bermorgen den Adonis liebt. Wenn die Natur in uns triumphiert, wenn wir uns in gl?hender Leidenschaft einem solchen Weibe hingeben, erscheint uns heitere Lebenslust als D?monie, als Grausamkeit. Wir sehen in unserer Seligkeit eine S?nde, die wir b??en m?ssen.»
«Also auch Sie schw?rmen f?r die moderne Frau, f?r ein armes, hysterisches Weib, das im Jagen nach einem m?nnlichen Ideal den besten Mann nicht sch?tzt. Unter Tr?nen und Kr?mpfen verletzen Sie t?glich Ihre christlichen Pflichten, betr?gend und betrogen. Immer wieder suchen und w?hlen und verwerfen. Nie gl?cklich sind, nie gl?cklich machen und das Schicksal anklagen, statt ruhig zu gestehen: ich will lieben und leben, wie Helena und Aspasia gelebt haben. Die Natur kennt keine Dauer in dem Verh?ltnis von Mann und Weib.»
«Gn?dige Frau —»
«Lassen Sie mich ausreden. Es ist nur der Egoismus von einem Mann, der das Weib wie einen Schatz vergraben will. Alle Versuche, durch heilige Zeremonien und Eide sind gescheitert. K?nnen Sie leugnen, dass unsere christliche Welt in F?ulnis ?bergegangen ist?»
«Aber —»
«Aber der einzelne, der sich gegen die Einrichtungen von der Gesellschaft emp?rt, wird ausgesto?en, wollen Sie sagen. Nun gut. Ich wage es, meine Grunds?tze sind recht heidnisch. Ich will mein Dasein ausleben. Ich verzichte auf euren Respekt. Ich ziehe es vor, gl?cklich zu sein. Die Erfinder von der christlichen Ehe haben gut daran getan, auch gleich dazu die Unsterblichkeit zu erfinden. Ich denke nicht daran, ewig zu leben. Was habe ich davon, ob mein reiner Geist in den Ch?ren der Engel mitsingt? Sobald ich aber, so wie ich bin, nicht fortlebe, aus welcher R?cksicht soll ich dann entsagen? Einem Mann angeh?ren, den ich nicht liebe. Blo? deshalb, weil ich ihn einmal geliebt habe? Nein, ich entsage nicht. Ich liebe jeden, der mir gef?llt, und mache jeden gl?cklich, der mich liebt. Ist das h??lich? Nein, es ist mindestens weit sch?ner, als wenn ich mich grausam der Qualen freue, die meine Reize erregen. Ich kehre mich tugendhaft von dem Armen, der um mich verschmachtet. Ich bin jung, reich und sch?n, und so, wie ich bin, lebe ich heiter dem Vergn?gen, dem Genuss.»
Ich habe ihre H?nde ergriffen, ohne recht zu wissen, was ich mit ihnen anfangen wollte. Aber als echter Dilettant lie? ich sie jetzt wieder eilig los.
«Ihre Ehrlichkeit», sagte ich, «entz?ckt mich, und nicht diese allein —» Wieder der verdammte Dilettantismus, der mir den Hals mit einem Hemmseil zuschn?rt.
«Was wollten Sie doch sagen…»
«Was ich sagen wollte – ja, ich wollte – vergeben Sie – meine Gn?dige – ich habe Sie unterbrochen.»
«Wie?»
Eine lange Pause. Sie h?lt einen Monolog, der, in meine Sprache ?bersetzt, sich in das einzige Wort «Esel» zusammenfassen l?sst[20 - Sie h?lt einen Monolog, der, in meine Sprache ?bersetzt, sich in das einzige Wort» Esel «zusammenfassen l?sst. – Она произносит монолог, который в переводе на мой язык можно свести к единственному слову «осел».].
«Wenn Sie erlauben, gn?dige Frau», begann ich endlich, «wie sind Sie zu diesen – zu diesen Ideen gekommen?»
«Sehr einfach, mein Vater war ein vern?nftiger Mann. Ich war von der Wiege an mit Abg?ssen antiker Bildwerke umgeben. Ich las mit zehn Jahren den Gil Blas, mit zw?lf die Pucelle. Wie andere in ihrer Kindheit den D?umling, Blaubart, Aschenbr?del, nannte ich Venus und Apollo, Herkules und Laokoon meine Freunde. Mein Gatte war eine heitere, sonnige Natur. Nicht einmal das unheilbare Leiden konnte seine Stirne jemals f?r die Dauer tr?ben. Noch die Nacht vor dem Tod nahm er mich in sein Bett und w?hrend der vielen Monate, wo er sterbend in seinem Rollsessel lag, sagte er ?fter scherzend zu mir: ›Nun, hast du schon einen Anbeter?‹ Ich wurde schamrot. ›Betr?ge mich nicht‹, f?gte er einmal hinzu, ›das f?nde ich h??lich, aber suche dir einen h?bschen Mann aus, oder lieber gleich mehrere. Du bist ein braves Weib, aber dabei noch ein halbes Kind, du brauchst Spielzeug.‹ Es ist wohl nicht n?tig, Ihnen zu sagen, dass ich, solange er lebte, keinen Anbeter hatte, aber genug. Er erzog mich zu dem, was ich bin, zu einer Griechin.»
«Zu einer G?ttin», fiel ich ein.
Sie l?chelte. «Zu welcher etwa?»
«Zu einer Venus.»
Sie drohte mit dem Finger und zog die Brauen zusammen. «Am Ende gar zu einer ›Venus im Pelz‹, warten Sie nur. Ich habe einen gro?en, gro?en Pelz, mit dem ich Sie ganz zudecken kann, ich will Sie darin fangen, wie in einem Netz.»
«Glauben Sie auch», sagte ich rasch, denn mir kam etwas in den Sinn, was ich f?r einen sehr guten Gedanken hielt. «Glauben Sie, dass Ihre Ideen sich in unserer Zeit durchf?hren lassen, dass Venus ungestraft in ihrer Sch?nheit und Heiterkeit unter Eisenbahnen und Telegraphen wandeln d?rfte?»
«Unverh?llt gewiss nicht, aber im Pelz», rief sie lachend, «wollen Sie den meinen sehen?»
«Und dann —»
«Was dann?»
«Sch?ne, freie, heitere und gl?ckliche Menschen sind nur dann m?glich, wenn sie Sklaven haben. Sie verrichten f?r sie die unpoetischen Gesch?fte vom t?glichen Leben und vor allem f?r sie arbeiten.»