In der Zeit, in der Riley und Crivaro die Situation analysiert hatten, hatte die lokale Polizei herausgefunden, dass Heidi und Orin sich in diesem Motel versteckten. Die zwei Agenten waren mit dem lokalen Team ausger?ckt, um sie festzunehmen... oder, wenn n?tig, zu t?ten.
Da waren sie nun alle auf diesem Parkplatz und um sie wirbelte der Schnee. Einer der Teenager hatte sie bei ihrer Ankunft mit einem Schuss aus dem Motelzimmer begr??t und nun war noch ein zweiter Schuss gefeuert worden, der Riley selbst haarscharf verfehlt hatte.
Was nun? fragte Riley sich.
Agent Crivaro sprach erneut durch den Lautsprecher in einem fast schon freundlichen, mitf?hlenden Ton.
„Orin, Heidi, macht es nicht noch schlimmer, als es schon ist. Wir wollen keine Probleme. Wir wollen blo? reden. Wir k?nnen das l?sen. Kommt einfach heraus mit euren H?nden, wo wir sie sehen k?nnen, alle beide.“
Es wurde wieder still bevor die Stimme eines jungen Mannes vom Fenster aus erklang.
„Wir haben eine Geisel.“
Riley erschauderte vor Entsetzen. Agent Crivaros Miene verriet, dass es ihm genauso ging.
Orin fuhr fort: „Es ist ein Zimmerm?dchen des Motels. Sie sagt, sie hei?t Anita. Bleiben Sie wo Sie sind, oder wir bringen sie um.“
Agent Crivaro lugte vorsichtig hinter dem SUV hervor und rief zur?ck: „Zeigt sie uns.“
Es kam keine Antwort. Riley konnte erahnen, was Crivaro dachte.
Ist das ein Bluff?
Vielleicht hatten sie gar keine Geisel. Vielleicht erkauften sie sich nur Zeit und versuchten ihre unabwendbare Verhaftung hinauszuz?gern. Sie verhielten sich jedenfalls nicht so, als h?tten sie tats?chlich eine Geisel. Riley hatte ?ber Geiselnahmen an der Academy gelernt und Training dazu erhalten, sie hatte also eine ziemlich gute Vorstellung davon, was sie erwarten k?nnte.
Die Jugendlichen sollten jetzt verhandeln, darauf bestehen einen sicheren Fluchtweg erm?glicht zu bekommen. Doch das war nicht das, was gerade hier passierte. Die gesamte Situation schien zu einem Stillstand gekommen zu sein.
Dann h?rte Riley Stimmen aus dem Motelzimmer kommen. Es war unm?glich zu verstehen, was gesagt wurde, aber es klang so, als w?rden der Junge und das M?dchen streiten. Dann erklang Heidis Stimme durchs Fenster.
„Okay, wir zeigen sie Ihnen. Versuchen Sie blo? nichts.“
Riley schaute erneut hinter dem Auto hervor. Sie konnte sehen, wie die Motelzimmert?r aufging. Dann trat eine Figur in den T?rrahmen. Es schien eine Frau zu sein, die eine Winterjacke mit Kapuze trug. Ihr Gesicht war durch den Schneewirbel nicht auszumachen. Sie stand still im T?rrahmen und hielt ihre H?nde zitternd ?ber den Kopf.
Orin Rhodes rief aus dem Zimmer heraus: „Okay, da ist sie. Sie haben sie gesehen.“
Crivaro sprach erneut in den Lautsprecher: „Ja, aber ihr wollt die Dinge wirklich nicht auf diese Weise angehen. Glaubt mir, ich wei?, wovon ich spreche. Ich habe es viele Male erlebt. Eine Geiselnahme macht die Dinge f?r euch nur noch schlimmer. Lasst sie einfach gehen. Lasst sie zu uns r?berkommen. Dann k?nnen wir ?ber eine vern?nftige L?sung verhandeln.“
Riley bezweifelte, dass Crivaros Rechnung aufgehen w?rde, und sie vermutete, dass er es genauso sah. Wieso w?rde das Paar ihr einziges Ass im ?rmel in einem solchen Moment aufgeben?
Dann, zu Rileys ?berraschung, machte die Frau ein paar Schritte auf sie zu. Das Herz pochte ihr in der Kehle, als sie h?rte, wie Orin aus Protest etwas Unverst?ndliches knurrte. Riley konnte ihn nicht sehen, aber was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Wird er sie erschie?en? fragte sie sich.
Doch die Frau machte ein paar weitere unsichere Schritte weg vom Motel. Vielleicht, dachte Riley sich, hatten Orin und Heidi endlich ihr Gefallen am Morden verloren. Doch Riley war sich unsicherer denn je dar?ber, was gerade passierte. Wenn das Paar die Geisel tats?chlich hatte gehen lassen, was w?rden sie als N?chstes tun? Was konnten sie tun?
Sie k?nnen sich ergeben, dachte Riley.
Oder sie k?nnten k?mpfen.
Nat?rlich w?re es Selbstmord, wenn sie das tun w?rden. Riley hatte eine Vorstellung davon, was sie erwarten konnte, wenn eine Schie?erei ausbrechen w?rde. Das Paar hatte keine Chance in einer echten Schie?erei, nicht gegen ein solches Team. Es war unwahrscheinlich, dass sie dem Kugelhagel standhalten k?nnten und sie w?rden sicherlich all ihre Munition verschossen haben, lange bevor diese dem Team ausging. Die ultimative Entscheidung war zwischen Kapitulation und Tod.
Die Frau ging schweigend ?ber den B?rgersteig und trat dann auf den Parkplatz. Riley beobachtete Crivaro und fragte sich, was ihr Mentor als N?chstes tun w?rde. W?rde er der Frau entgegenkommen und sie begr??en, dann sicherstellen, dass sie so schnell wie m?glich an einen sicheren Ort gebracht wurde? Bisher hatte er noch keine Anstalten gemacht, seine Deckung hinter dem SUV zu verlassen.
Dann wurden die Schritte der Frau beunruhigend schnell. Sie kam Riley immer n?her, scheinbar ohne sie gesehen zu haben.
Und nun konnte Riley das Gesicht der Frau erkennen. Es war schlie?lich doch gar keine Geisel. Es war Heidi Wright selbst und sie zog irgendetwas aus ihrer Jackentasche hervor.
Sie hat eine Waffe, begriff Riley.
Riley wusste, was sie zu tun hatte, doch trotzdem z?gerte sie.
Die Pistole des M?dchens feuerte und streute ziellose Sch?sse ?ber die Barrikaden, hinter denen sich Polizei und Agenten versteckten. Dann entdeckte sie Riley. Sie l?chelte ein seltsam unschuldiges L?cheln, als sie ihre Waffe auf die junge Agentin richtete.
F?r einen gef?hlten Bruchteil einer Sekunde starrte Riley in den Schaft der Pistole. Dann begriff sie, dass sie ihre eigene Waffe bereits gezogen hatte und direkt ins Zentrum von Heidis Brust zielte.
Riley feuerte einen einzigen Schuss.
Heidi stolperte r?ckw?rts, die Pistole fiel ihr aus der Hand. Ihr L?cheln war verschwunden und einem Ausdruck von Schock und Entsetzen gewichen. Dann sackte sie auf dem Boden in sich zusammen.
Riley konnte Orins Stimme schreien h?ren: „Heidi!“
Sie fuhr herum und sah, wie mehrere Polizisten die Motelzimmert?r st?rmten. Mit einer Miene erstaunten Horrors trat Orin aus dem Zimmer. Er hob seine H?nde hoch ?ber den Kopf, w?hrend er ?ber den Parkplatz zu seiner erschossenen Freundin her?berstarrte. Er blieb absolut gef?gig, als einer der Polizisten ihm Handschellen anlegte und ihm seine Rechte vorlas.
Von einem tiefen Horror ergriffen, ging Riley zum M?dchen her?ber. Blut sprudelte aus der Wunde in ihrer Brust und f?rbte den Schnee auf dem Parkplatzasphalt rot. Heidis Augen waren weit aufgerissen, ihr Mund japste stumm nach den letzten Atemz?gen. Dann wurde sie komplett still. Der Ausdruck ihres toten Gesichts war unbeschreiblich traurig.
Riley begann am gesamten K?rper zu zittern und ihre eigene Pistole fiel ihr beinahe aus der Hand. Pl?tzlich stand Agent Crivaro an ihrer Seite und nahm ihr sanft ihre Waffe weg.
Riley f?hlte sich nun komplett bet?ubt.
Sie konnte sich selbst sagen h?ren: „Was habe ich getan?“
Crivaro legte seinen Arm um ihre Schulter und sagte: „Du hast es gut gemacht, Riley. Du hast getan, was du tun musstest.“
Doch Riley konnte nur immer wieder wiederholen: „Was habe ich getan?“
„Komm, suchen wir dir einen Platz, wo du dich hinsetzen kannst“, sagte Crivaro.
Riley konnte sich kaum aufrecht halten, als Crivaro sie vorsichtig zu einem der Polizeibusse f?hrte. Sie sp?rte immer noch, wie die Augen des toten M?dchens sie anstarrten.
Ich habe jemanden get?tet, dachte sie.
Sie hatte noch nie zuvor in ihrem Leben jemanden get?tet.
Und nun hatte sie keine Ahnung, wie sie damit klarkommen sollte.
KAPITEL ZWEI
Als Rileys Verlobter, Ryan Paige, versuchte seinen Arm um ihre Schulter zu legen, entzog sie sich ihm. Es war heute Abend nicht das erste Mal, dass sie reflexartig seinen Ber?hrungen auswich. Sie war sich sicher, dass es seine Gef?hle verletzte, aber sie konnte nicht anders.