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Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра

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Als eines Tages der Oheim mit Johannes am offnen Fenster stand, kam ein kleiner hagerer Mann die Stra?e herab geschossen, in einem Rockelor von hellgr?nem Berkan, dessen offne ?rmelklappen seltsam im Winde auf und nieder flatterten. Dazu hatte er ein kleines dreieckiges H?tchen martialisch auf die wei?gepuderte Frisur gedr?ckt, und ein zu langer Haarzopf schl?ngelte sich herab ?ber den R?cken. Er trat hart auf, da? das Stra?enpflaster dr?hnte, und stie? auch bei jedem zweiten Schritt mit dem langen spanischen Rohr, das er in der Hand trug, heftig auf den Boden. Als der Mann vor dem Fenster vorbeikam, warf er aus seinen funkelnden pechschwarzen Augen dem Oheim einen stechenden Blick zu, ohne seinen Gru? zu erwidern. Dem kleinen Johannes bebte es eiskalt durch alle Glieder, und zugleich war es ihm zu Mute, als m?sse er ?ber den Mann entsetzlich lachen, und k?nne nur nicht dazu kommen, weil ihm die Brust so beengt.»Das war der Herr Liscov, «sprach der Oheim;»das wu?te ich ja«, erwiderte Johannes, und er mochte recht haben. Weder ein gro?er stattlicher Mann war Herr Liscov, noch trug er einen pflaumfarbnen Rock mit goldnen Tressen, wie der Pate Kommerzienrat; seltsam, ja wunderbar genug begab es sich aber, da? Herr Liscov ganz genau so aussah, wie der Knabe sich ihn fr?her gedacht hatte, ehe er das Orgelwerk vernommen. Noch hatte sich Johannes nicht von seinem Gef?hl erholt, das dem eines j?hen Schrecks zu vergleichen, als Herr Liscov pl?tzlich still stand, sich umdrehte, die Stra?e entlang hinanpolterte, bis vor das Fenster, dem Oheim eine tiefe Verbeugung machte, davon rannte unter lautem Gel?chter.

«Ist das wohl«, sprach der Oheim,»ein Betragen f?r einen gesetzten Mann, der in den Studiis nicht unerfahren, der als privilegierter Orgelbauer zu den K?nstlern zu rechnen, und dem Gesetze des Landes verstatten einen Degen zu tragen? Sollte man nicht vermeinen, er habe schon am lieben fr?hen Morgen zu tief ins Glas geguckt, oder sei dem Tollhause entsprungen? Aber ich wei? es, nun wird er herkommen und den Fl?gel in Ordnung bringen.«

Der Oheim hatte recht. Schon andern Tages war Herr Liscov da, aber statt die Reparatur des Fl?gels vorzunehmen, verlangte er, der kleine Johannes sollte ihm vorspielen. Dieser wurde auf den mit B?chern bepackten Stuhl gesetzt, Herr Liscov ihm gegen?ber am schmalen Ende des Fl?gels, st?tzte beide Arme auf das Instrument, und sah dem Kleinen starr ins Antlitz, welches ihn derma?en au?er Fassung brachte, da? die Menuetts, die Arien, die er aus dem alten Notenbuche abspielte, holpricht genug gingen. Herr Liscov blieb ernst, aber pl?tzlich rutschte der Knabe herab, und versank unter des Fl?gels Gestell, wor?ber der Orgelbauer, der ihm mit einem Ruck die Fu?bank unter den F??en weggezogen, eine unm??ige Lache aufschlug. Besch?mt rappelte sich der Knabe hervor, doch in dem Augenblick sa? Herr Liscov auch schon vor dem Fl?gel, hatte einen Hammer hervorgezogen, und h?mmerte auf das arme Instrument so unbarmherzig los, als wolle er alles in tausend St?cke schlagen.»Herr Liscov sind Sie von Sinnen!«schrie der Onkel, aber der kleine Johannes, ganz entr?stet, ganz au?er sich ?ber des Orgelbauers Beginnen, stemmte sich mit aller Gewalt gegen den Deckel des Instruments, so, da? er mit lautem Krachen zuschlug, und Herr Liscov schnell den Kopf zur?ckziehen mu?te, um nicht getroffen zu werden. Dann rief er:»Ei lieber Onkel, das ist nicht der geschickte K?nstler, der die sch?ne Orgel gebaut hat, er kann es nicht sein, denn dieser hier ist ja ein alberner Mensch, der sich betr?gt wie ein ungezogner Bube!«

Der Oheim verwunderte sich ?ber die Dreistigkeit des Knaben; aber Herr Liscov sah ihn lange starr an, sprach:»Er ist wohl ein kurioser Monsieur!«?ffnete leise und behutsam den Fl?gel, zog Instrumente hervor, begann seine Arbeit, die er in paar Stunden beendete, ohne ein einziges Wort zu sprechen.

Seit diesem Augenblick zeigte sich des Orgelbauers entschiedene Vorliebe f?r den Knaben. Beinahe t?glich kam er ins Haus, und wu?te den Knaben bald f?r sich zu gewinnen, indem er ihm eine ganze neue bunte Welt erschlo?, in der sich sein reger Geist mutiger und freier bewegen konnte. Eben nicht l?blich war es, da? Liscov, vorz?glich als Johannes schon in Jahren mehr vorger?ckt, den Knaben anregte zu den seltsamsten Foppereien, die oft gegen den Oheim selbst gerichtet waren, der freilich, beschr?nkten Verstandes, und voll der l?cherlichsten Eigenheiten, dazu reichen Anla? bot. Gewi? ist es aber, da?, wenn Kreisler ?ber die trostlose Verlassenheit in seinen Knabenjahren klagt, wenn er das zerrissene Wesen, das ihn oft in seiner innersten Natur verst?rt, jener Zeit zuschreibt, wohl das Verh?ltnis mit dem Oheim in Anschlag zu bringen ist. Er konnte den Mann, der Vaterstelle zu vertreten berufen, und der ihm mit seinem ganzen Tun und Wesen l?cherlich erscheinen mu?te, nicht achten.

Liscov wollte den Johannes ganz an sich rei?en, und es w?re ihm gelungen, h?tte sich nicht des Knaben edlere Natur dagegen gestr?ubt. Ein durchdringender Verstand, ein tiefes Gem?t, eine ungew?hnliche Erregbarkeit des Geistes, alles das waren anerkannte Vorz?ge des Orgelbauers. Was man aber Humor zu nennen beliebte, war nicht jene seltne wunderbare Stimmung des Gem?ts, die aus der tieferen Anschauung des Lebens in all' seinen Bedingnissen, aus dem Kampf der feindlichsten Prinzipe sich erzeugt, sondern nur das entschiedene Gef?hl des Ungeh?rigen, gepaart mit dem Talent, es ins Leben zu schaffen, und der Notwendigkeit der eignen bizarren Erscheinung. Dies war die Grundlage des verh?hnenden Spottes, den Liscov ?berall ausstr?men lie?, der Schadenfreude, mit der er alles als ungeh?rig Erkannte rastlos verfolgte bis in die geheimsten Winkel. Eben diese schadenfrohe Verspottung verwundete des Knaben zartes Gem?t, und stand dem innigsten Verh?ltnis, wie es der in wahrhafter innerer Gesinnung v?terliche Freund herbeigef?hrt haben w?rde, entgegen. Zu leugnen ist aber auch nicht, da? der wunderliche Orgelbauer recht dazu geeignet war, den Keim des tiefern Humors, der in des Knaben Innern lag, zu hegen und zu pflegen, der denn auch sattsam gedieh und emporwuchs. —

Herr Liscov pflegte viel von Johannes Vater zu erz?hlen, dessen vertrautester Freund er in seinen J?nglingsjahren gewesen, zum Nachteil des erziehenden Oheims, der merklich in den Schatten trat, wenn der Bruder in hellem Sonnenlicht erschien. So r?hmte auch eines Tages der Orgelbauer den tiefen musikalischen Sinn des Vaters, und verspottete die verkehrte Art, wie der Oheim dem Knaben die ersten Elemente der Musik beigebracht. Johannes, dessen ganze Seele durchdrungen war von dem Gedanken an den, der ihm der N?chste gewesen, und den er nie gekannt, wollte immer noch mehr h?ren. Da verstummte aber Liscov pl?tzlich, und sah, wie einer, dem irgendein das Leben erfassender Gedanke vor die Seele tritt, starr zum Boden nieder.

«Was ist Euch Meister«, fragte Johannes,»was bewegt Euch so?«

Liscov fuhr auf, wie aus einem Traum, und sprach l?chelnd» Wei?t Du noch Johannes! wie ich Dir die Fu?bank wegzog unter den Beinen, und Du hinabschobst unter den Fl?gel, da Du mir des Oheims abscheuliche Murkis und Menuetten vorspielen mu?test?«

«Ach«, erwiderte Johannes,»wie ich Euch zum ersten Male sah, daran mag ich gar nicht denken. Es machte Euch gerade Spa?, ein Kind zu betr?ben.«

«Und das Kind«, nahm Liscov das Wort,»war daf?r t?chtig grob. Doch nimmermehr h?tt' ich damals geglaubt, da? in Euch ein solch t?chtiger Musiker verborgen, und darum, S?hnlein, tu mir den Gefallen und spiele mir einen ordentlichen Choral vor auf dem papiernen Positiv. Ich will den Balg treten«.

– Es ist hier nachzuholen, da? Liscov gro?en Geschmack fand an allerlei wunderlichen Spielereien, und den Johannes damit sehr erg?tzte. Schon, als Johannes noch ein Kind, pflegte Liscov bei jedem Besuch ihm irgend etwas Seltsames mitzubringen.

Empfing das Kind bald einen Apfel, der in hundert St?cke zerfiel, wenn er abgesch?lt wurde, oder irgendein seltsam geformtes Backwerk, so wurde der erwachsene Knabe bald mit diesem, bald mit jenem ?berraschenden Kunstst?ck aus der nat?rlichen Magie erfreut, so half der J?ngling optische Maschinen bauen, sympathetische Tinten kochen usw. An der Spitze der mechanischen K?nsteleien, die der Orgelbauer f?r den Johannes verfertigte, stand aber ein Positiv mit achtf??igem Gedackt, dessen Pfeifen von Papier geformt, das mithin jenem Kunstwerk des alten Orgelbauers aus dem siebzehnten Jahrhundert, Eugenius Casparini gehei?en, glich, welches in der kaiserlichen Kunstkammer in Wien zu sehen. Liscovs seltsames Instrument hatte einen Ton, dessen St?rke und Anmut unwiderstehlich hinri?, und Johannes versichert noch, da? er niemals darauf spielen k?nnen, ohne in die tiefste Bewegung zu geraten, und da? ihm dabei manche wahrhaft fromme Kirchenmelodie hell aufgegangen. —

Auf diesem Positiv mu?te Johannes nun dem Orgelbauer vorspielen. Nachdem er, wie Liscov verlangt, ein paar Chor?le gespielt, fiel er in den Hymnus:»Misericordias Domini cantabo«, den er vor wenigen Tagen gesetzt. – Da Johannes geendet, so sprang Liscov auf, dr?ckte ihn st?rmisch an die Brust, rief laut lachend:»Hasenfu?, was foppst Du mich mit Deiner lamentablen Cantilena? W?r' ich nicht immer und ewig Dein Kalkant gewesen, nichts Vern?nftiges h?ttest Du jemals herausgebracht. – Aber nun renne ich fort, und lasse Dich im Stich ganz und gar, und Du magst Dir in der Welt einen andern Kalkanten suchen, der es mit Dir so gut meint als ich!«– Dabei standen ihm die hellen Tr?nen in den Augen. Er sprang zur T?re hinaus, die er sehr heftig zuschlug. Dann steckte er aber nochmals den Kopf hinein und sprach sehr weich:»Es kann nun einmal nicht anders sein. – Adieu Johannes! – Wenn der Oheim seine rotgebl?mte Gros de Tours Weste vermi?t, so sage nur, ich h?tte sie gestohlen, und lie?e mir daraus einen Turban machen, um dem Gro?-Sultan vorgestellt zu werden! – Adieu Johannes!«– Kein Mensch konnte begreifen, warum Herr Liscov so pl?tzlich die angenehme Stadt G?ni?nesm?hl verlassen, warum er niemanden entdeckt, wohin er sich zu wenden entschlossen.

Der Oheim sprach:»L?ngst hab' ich vermutet, da? der unruhige Geist sich auf und davon machen w?rde, denn er h?lt es, unerachtet er sch?ne Orgeln verfertigt, doch nicht mit dem Spruch: Bleibe im Lande und n?hre dich redlich! – Es ist nur gut, da? unser Fl?gel im Stande; nach dem ?berspannten Menschen selbst frag' ich nicht viel!«– Anders dachte wohl Johannes, dem Liscov ?berall fehlte, und dem nun ganz G?ni?nesm?hl ein totes, d?stres Gef?ngnis d?nkte.

So kam es, da? er den Rat des Orgelbauers befolgen, und sich in der Welt einen andern Kalkanten suchen wollte. Der Oheim meinte, da er seine Studien vollendet, k?nne er in der Residenz sich unter den Fittich des Geheimen-Legationsrates begeben und vollends ausbr?ten lassen. – Es geschah so! —

– In diesem Augenblick ?rgert sich gegenw?rtiger Biograph ?ber alle Ma?en, denn indem er an den zweiten Moment aus Kreislers Leben kommt, von dem er Dir, geliebter Leser, zu erz?hlen versprochen, n?mlich, wie Johannes Kreisler den wohlerworbenen Posten eines Legationsrates verlor, und gewisserma?en aus der Residenz verwiesen wurde, wird er gewahr, da? alle Nachrichten, die ihm dar?ber zu Gebote stehen, ?rmlich, d?rftig, seicht, unzusammenh?ngend sind. —

Es gen?gt indessen am Ende wohl, zu sagen, da?, bald nachdem Kreisler in die Stelle seines verstorbenen Oheims getreten, und Legationsrat geworden, ehe man sich's versah, ein gewaltiger gekr?nter Kolo? den F?rsten in der Residenz heimsuchte, und ihn als seinen besten Freund so innig und herzlich in seine eisernen Arme schlo?, da? der F?rst dar?ber den besten Teil seines Lebensatems verlor. Der Gewaltige hatte in seinem Tun und Wesen etwas ganz Unwiderstehliches, und so kam es, da? seine W?nsche befriedigt werden mu?ten, sollte auch, wie es wirklich geschah, dar?ber alles in Not und Verwirrung geraten. Manche fanden die Freundschaft des Gewaltigen etwas verf?nglich, wollten sich wohl gar dagegen auflehnen, gerieten aber selbst dar?ber in das verf?ngliche Dilemma, entweder die Vortrefflichkeit jener Freundschaft anzuerkennen, oder au?erhalb Landes einen andern Standpunkt zu suchen, um vielleicht den Gewaltigen im richtigeren Licht zu erblicken.

Kreisler befand sich unter diesen.

Trotz seines diplomatischen Charakters hatte Kreisler geziemliche Unschuld konserviert, und eben deshalb gab es Augenblicke, in denen er nicht wu?te, wozu sich entschlie?en. Eben in einem solchen Augenblick erkundigte er sich bei einer h?bschen Frau in tiefer Trauer, was sie ?berhaupt von Legationsr?ten halte? Sie erwiderte vieles in zierlichen, artigen Worten; am Ende kam aber so viel heraus, da? sie von einem Legationsrat gar nicht viel halten k?nne, sobald er sich auf enthusiastische Weise mit der Kunst besch?ftige, ohne sich ihr ganz zuzuwenden.

«Vortrefflichste der Witwen«, sprach darauf Kreisler,»ich rei?e aus!«

Als er bereits Reisestiefel angezogen und mit dem Hute in der Hand sich empfehlen wollte, nicht ohne R?hrung und geh?rigen Abschiedsschmerz, steckte ihm die Witwe den Ruf zur Kapellmeisterstelle bei dem Gro?herzog, der das L?ndchen des F?rsten Iren?us verspeist, in die Tasche.

Kaum ist es n?tig, hinzuzuf?gen, da? die Dame in Trauer niemand anders war, als die R?tin Benzon, die eben des Rates verlustig geworden, da der Gemahl verstorben.

Merkw?rdigerweise trug es sich zu, da? die Benzon eben zu der Zeit als —

(M. f. f.) – Ponto geradezu auf das Brot und W?rste feilhaltende M?dchen losh?pfte, die mich, da ich freundlich bei ihr zulangte, beinahe tot geschlagen.»Mein Pudel Ponto, mein Pudel Ponto, was tust du, nimm dich in acht, h?te dich vor der herzlosen Barbarin, vor dem rached?rstenden Wurstprinzip!«– So rief ich hinter Ponto her – ohne auf mich zu achten, setzte er aber seinen Weg fort – und ich folgte in der Ferne, um, sollte er in Gefahr geraten, mich gleich aus dem Staube machen zu k?nnen. – Vor dem Tisch angekommen, richtete sich Ponto auf den Hinterf??en in die H?he – und t?nzelte in den zierlichsten Spr?ngen um das M?dchen her, die sich dar?ber gar sehr erfreute. Sie rief ihn an sich, er kam, legte den Kopf in ihren Scho?, sprang wieder auf, bellte lustig, h?pfte wieder um den Tisch, schnupperte bescheiden, und sah dem M?dchen freundlich in die Augen.

«Willst du ein W?rstchen, artiger Pudel?«So fragte das M?dchen, und als nun Ponto anmutig schw?nzelnd laut aufjauchzte, nahm sie zu meinem nicht geringen Erstaunen eine der sch?nsten, gr??ten W?rste, und reichte sie dem Ponto dar. Dieser tanzte wie zur Danksagung noch ein kurzes Ballett, und eilte dann zu mir mit der Wurst, die er mit den freundlichen Worten hinlegte:»Da, i?, erquicke dich Bester!«Nachdem ich die Wurst verzehrt, lud mich Ponto ein, ihm zu folgen, er wolle mich zur?ckf?hren zum Meister Abraham.

Wir gingen langsam nebeneinander her, so da? es uns nicht schwer fiel, wandelnd, vern?nftige Gespr?che zu f?hren.

«Ich seh' es wohl ein«, (so begann ich die Unterredung)»da? du, geliebter Ponto, es viel besser verstehst, in der Welt fortzukommen, als ich. Nimmermehr w?rd' es mir gelungen sein, das Herz jener Barbarin zu r?hren, welches dir so ungemein leicht wurde. Doch verzeih! – In deinem ganzen Benehmen gegen die Wurstverk?uferin lag doch etwas, wogegen mein innerer mir angeborner Sinn sich auflehnt. Eine gewisse unterw?rfige Schmeichelei, ein Verleugnen des Selbstgef?hls, der edleren Natur – nein! guter Pudel, nicht entschlie?en k?nnte ich mich, so freundlich zu tun, so mich au?er Atem zu setzen mit angreifenden Man?vers, so recht dem?tig zu betteln, wie du es tatest. Bei dem st?rksten Hunger, oder wenn mich ein Appetit nach etwas Besonderem anwandelt, begn?ge ich mich, hinter den Meister auf den Stuhl zu springen, und meine W?nsche durch ein sanftes Knurren anzudeuten. Und selbst dies ist mehr Erinnerung an die ?bernommene Pflicht, f?r meine Bed?rfnisse zu sorgen, als Bitte um eine Wohltat.«

Ponto lachte laut auf, als ich dies gesprochen und begann dann:»O Murr, mein guter Kater, du magst ein t?chtiger Literatus sein und dich wacker auf Dinge verstehen, von denen ich gar keine Ahnung habe, aber von dem eigentlichen Leben wei?t du gar nichts, und w?rdest verderben, da dir alle Weltklugheit g?nzlich abgeht. – F?rs erste w?rdest du vielleicht anders geurteilt haben, ehe du die Wurst genossen, denn hungrige Leute sind viel artiger und f?gsamer, als satte, dann aber bist du r?cksichts meiner sogenannten Unterw?rfigkeit in gro?em Irrtum. Du wei?t ja, da? das Tanzen und Springen mir gro?es Vergn?gen macht, so, da? ich es oft auf meine eigene Hand unternehme. Treibe ich nun, eigentlich nur zu meiner Motion, meine K?nste vor den Menschen, so macht es mir ungemeinen Spa?, da? die Toren glauben, ich t?te es aus besonderm Wohlgefallen an ihrer Person, und nur um ihnen Lust und Freude zu erregen. Ja sie glauben das, sollte auch eine andere Absicht ganz klar sein. Du hast, Geliebter! das lebendige Beispiel davon soeben erfahren. Mu?te das M?dchen nicht gleich einsehen, da? es mir nur um eine Wurst zu tun war, und doch geriet sie in volle Freude, da? ich ihr, der Unbekannten, meine K?nste vormachte, als einer Person, die dergleichen zu sch?tzen verm?gend, und eben in dieser Freude tat sie das, was ich bezweckte. Der Lebenskluge mu? es verstehen, allem, was er blo? seinetwegen tut, den Anschein zu geben, als t?te er es um anderer willen, die sich dann hoch verpflichtet glauben, und willig sind zu allem, was man bezweckte. Mancher erscheint gef?llig, dienstfertig, bescheiden, nur den W?nschen anderer lebend, und hat nichts im Auge, als sein liebes Ich, dem die andern dienstbar sind, ohne es zu wissen. Das, was du also unterw?rfige Schmeichelei zu nennen beliebst, ist nichts als weltkluges Benehmen, das in der Erkenntnis und der foppenden Benutzung der Torheit anderer seine eigentlichste Basis findet.«

«O Ponto«, erwiderte ich,»du bist ein Weltmann, das ist gewi?, und ich wiederhole, da? du dich auf das Leben besser verstehst als ich, aber dem unerachtet kann ich kaum glauben, da? deine seltsamen K?nste dir selbst Vergn?gen machen sollten. Wenigstens ist mir das entsetzliche Kunstst?ck durch Mark und Bein gegangen, als du in meiner Gegenwart deinem Herrn ein sch?nes St?ck Braten apportiertest, es sauber zwischen den Z?hnen haltend, und nicht eher einen Bissen davon genossest, bis dein Herr dir die Erlaubnis zuwinkte.«

«Sage mir doch, guter Murr«, fragte Ponto,»was sich nachher begab!«

«Beide«, erwiderte ich,»dein Herr und Meister Abraham lobten dich ?ber alle Ma?en, und setzten dir einen ganzen Teller mit Braten hin, den du mit erstaunlichem Appetit verzehrtest.«

«Nun also, bester Kater«, fuhr Ponto fort,»glaubst du wohl, da?, h?tt' ich apportierend das kleine St?ck Braten gefressen, da? ich dann eine solch reichliche Portion, und ?berhaupt Braten erhalten? Lerne, o unerfahrner J?ngling! da? man kleine Opfer nicht scheuen darf, um Gro?es zu erreichen. Mich wundert's, da? bei deiner starken Lekt?re dir nicht bekannt worden, was es hei?t, die Wurst nach der Speckseite werfen. – Pfote aufs Herz, mu? ich dir gestehen, da?, tr?f' ich einsam im Winkel einen ganzen sch?nen Braten an, ich ihn ganz gewi? verzehren w?rde, ohne auf die Erlaubnis meines Herrn zu warten, k?nnt' ich das nur unbelauscht vollbringen. Es liegt nun einmal in der Natur, da? man im Winkel ganz anders handelt, als auf offener Stra?e. ?brigens ist es auch ein aus tiefer Weltkenntnis gesch?pfter Grundsatz, da? es ratsam ist, in Kleinigkeiten ehrlich zu sein.«

Ich schwieg einige Augenblicke, ?ber Pontos ge?u?erte Grunds?tze nachdenkend; mir fiel ein, irgendwo gelesen zu haben, ein jeder m?sse so handeln, da? seine Handlungsweise als allgemeines Prinzip gelten k?nne, oder wie er w?nsche, da? alle r?cksichts seiner handeln m?chten, und bem?hte mich vergebens, dies Prinzip mit Pontos Weltklugheit in ?bereinstimmung zu bringen. Mir kam in den Sinn, da? alle Freundschaft, die mir Ponto in dem Augenblick erzeigte, wohl auch gar zu meinem Schaden nur seinen eignen Vorteil bezwecken k?nne, und ich ?u?erte dies unverholen.

«Kleiner Sch?ker«, rief Ponto lachend,»von dir ist gar nicht die Rede! – Du kannst mir keinen Vorteil gew?hren, keinen Schaden verursachen. Um deine toten Wissenschaften beneide ich dich nicht, dein Treiben ist nicht das meinige, und solltest du dir es etwa beikommen lassen, feindliche Gesinnungen gegen mich zu ?u?ern, so bin ich dir an St?rke und Gewandheit ?berlegen. Ein Sprung, ein t?chtiger Bi? meiner scharfen Z?hne, w?rde dir auf der Stelle den Garaus machen.«

Mich wandelte eine gro?e Furcht an vor meinem eignen Freunde, die sich vermehrte, als ein gro?er schwarzer Pudel ihn freundlich nach gew?hnlicher Art begr??te, und beide, mich mit gl?henden Augen anblickend, leise miteinander sprachen.

Die Ohren angekniffen, dr?ckte ich mich an die Seite, doch bald sprang Ponto, den der Schwarze verlassen, wieder auf mich zu, und rief:»Komm nur, mein Guter!«

«Ach Himmel«, fragte ich in der Best?rzung,»wer war denn der ernste Mann, der vielleicht ebenso weltklug als du?«

«Ich glaube gar«, erwiderte Ponto,»du f?rchtest dich vor meinem guten Oheim, dem Pudel Skaramuz? Ein Kater bist du schon, und willst nun gar ein Hase werden. – «

«Aber«, sprach ich,»warum warf der Oheim mir solche gl?hende Blicke zu, und was fl?stertet ihr so heimlich, so verd?chtig miteinander? -«

«Nicht verhehlen will ich's dir, mein guter Murr«, erwiderte Ponto,»da? mein alter Oheim etwas m?rrisch ist, und wie es denn nun bei alten Leuten gew?hnlich der Fall, an verj?hrten Vorurteilen h?ngt. Er wunderte sich ?ber unser Beisammensein, da die Ungleichheit unsers Standes jede Ann?herung verbieten m?sse. Ich versicherte, da? du ein junger Mann von vieler Bildung und angenehmem Wesen w?rst, der mich bisweilen sehr belustige. Da meinte er, dann k?nne ich mich wohl dann und wann einsam mit dir unterhalten, nur solle ich's mir nicht etwa einfallen lassen, dich mitzubringen in eine Pudelassemblee, da du nun und nimmermehr assembleef?hig werden k?nntest, schon deiner kleinen Ohren halber, die nur zu sehr deine niedere Abkunft verrieten, und von t?chtigen gro?geohrten Pudeln durchaus f?r unanst?ndig geachtet w?rden.

«Ich versprach das.«

H?tt' ich schon damals etwas gewu?t von meinem gro?en Ahnherrn, dem gestiefelten Kater, der ?mter und W?rden erlangte, dem Busenfreunde K?nig Gottliebs, ich w?rde dem Freunde Ponto sehr leicht bewiesen haben, da? jede Pudelassemblee sich geehrt f?hlen m?sse durch die Gegenwart eines Abk?mmlings aus der illustersten Familie; so mu?te ich, aus der Obskurit?t noch nicht hervorgetreten, es aber leiden, da? beide, Skaramuz und Ponto, sich ?ber mich erhaben d?nkten. – Wir schritten weiter fort. Dicht vor uns wandelte ein junger Mann, der trat mit einem lauten Ausruf der Freude so schnell zur?ck, da? er mich, sprang ich nicht schnell zur Seite, schwer verletzt haben w?rde. Ebenso laut schrie ein anderer junger Mann, der, die Stra?e herab, jenem entgegenkam. Und nun st?rzten sich beide in die Arme, wie Freunde, die sich lange nicht gesehen, und wandelten dann eine Strecke vor uns her, Hand in Hand, bis sie still standen und, ebenso z?rtlich voneinander Abschied nehmend, sich trennten. Der, der vor uns hergeschritten, sah dem Freunde lange nach und schl?pfte dann schnell in ein Haus hinein. Ponto stand still, ich desgleichen. Da wurde im zweiten Stock des Hauses, in das der junge Mann getreten, ein Fenster ge?ffnet, ein bildh?bsches M?dchen schaute heraus; hinter ihr stand der junge Mann, und beide lachten sehr, dem Freunde nachschauend, von dem sich der junge Mann soeben getrennt. Ponto sah herauf, und murmelte etwas zwischen den Z?hnen, welches ich nicht verstand.

«Warum weilst du hier, lieber Ponto, wollen wir nicht weitergehen?«So fragte ich, Ponto lie? sich aber nicht st?ren, bis er nach einigen Augenblicken heftig den Kopf sch?ttelte, und dann schweigend den Weg fortsetzte.

«La? uns«, sprach er, als wir auf einen mit B?umen umgebenen, mit Statuen verzierten, anmutigen Platz gelangten,»hier ein wenig verweilen, guter Murr. Mir kommen jene beiden jungen M?nner, die sich so herzlich auf der Stra?e umarmten, nicht aus dem Sinn. Es sind Freunde, wie Damon und Pylades.«

«Damon und Pythias«, verbesserte ich,»Pylades war der Freund des Orestes, den er jedesmal getreulich im Schlafrock zu Bette brachte, und mit Kamillentee bediente, wenn die Furien und D?monen dem armen Mann zu hart zugesetzt. Man merkt, guter Ponto, da? du in der Geschichte nicht sonderlich bewandert.«

«Gleichviel«, fuhr der Pudel fort,»aber die Geschichte von den beiden Freunden wei? ich sehr genau, und will sie dir erz?hlen mit allen Umst?nden, so wie ich sie zwanzigmal von meinem Herrn erz?hlen h?rte. Vielleicht wirst du neben Damon und Pythias, Orestes und Pylades, als drittes Paar, Walter und Formosus nennen. Formosus ist n?mlich derselbe junge Mann, der dich beinahe zu Boden getreten, in der Freude, seinen geliebten Walter wiederzusehen. – Dort in dem sch?nen Hause mit den hellen Spiegelfenstern wohnt der alte steinreiche Pr?sident, bei dem sich Formosus durch seinen leuchtenden Verstand, durch seine Gewandheit, durch sein gl?nzendes Wissen, so einzuschmeicheln wu?te, da? er dem Alten bald war, wie der eigene Sohn. Es begab sich, da? Formosus pl?tzlich all' seine Heiterkeit verlor, da? er bla? aussah und kr?nklich, da? er in einer Viertelstunde zehnmal aus tiefer Brust aufseufzte, als wolle er sein Leben aushauchen, da? er, ganz in sich gekehrt, ganz in sich verloren, f?r nichts in der Welt mehr seine Sinne aufschlie?en zu k?nnen schien. – Lange Zeit hindurch drang der Alte vergebens in den J?ngling, da? er ihm die Ursache seines geheimen Kummers entdecken m?ge; endlich kam es heraus, da? er bis zum Tode verliebt war in des Pr?sidenten einzige Tochter. Anfangs erschrak der Alte, der mit seinem T?chterlein ganz andere Dinge im Sinne haben mochte, als sie an den rang- und amtlosen Formosus zu verheiraten, als er aber den armen J?ngling immer mehr und mehr hinwelken sah, ermannte er sich und fragte Ulriken, wie ihr der junge Formosus gefalle, und ob er ihr schon etwas von seiner Liebe gesagt? – Ulrike schlug die Augen nieder, und meinte, erkl?rt habe sich der junge Formosus zwar gar nicht gegen sie, aus lauter Zur?ckhaltung und Bescheidenheit, aber gemerkt habe sie wohl l?ngst, da? er sie liebe, denn so was sei wohl zu bemerken. ?brigens gefalle ihr der junge Formosus recht wohl, und wenn sonst dem nichts im Wege st?nde, und wenn der Herzenspapa nichts dagegen habe, und – kurz, Ulrike sagte alles, was M?dchen bei derlei Gelegenheit zu sagen pflegen, die nicht mehr in der ersten vollsten Bl?te stehen, und flei?ig denken: ›Wer wird der sein, der dich heimf?hrt?‹ – Darauf sprach der Pr?sident zum Formosus: ›Richte dein Haupt auf, mein Junge! – Sei froh und gl?cklich, du sollst sie haben, meine Ulrike!‹ und so wurde Ulrike die Braut des jungen Herrn Formosus. Alle Welt g?nnte dem h?bschen bescheidenen J?ngling sein Gl?ck, nur einer geriet dar?ber in Gram und Verzweiflung, und das war Walter, mit dem Formosus ein Herz und eine Seele aufgewachsen. Walter hatte Ulriken einigemal gesehen, auch wohl gesprochen, und sich in sie verliebt, vielleicht noch viel ?rger, als Formosus! – Doch ich rede immer von Liebe und verliebt sein, und wei? nicht, ob du, mein Kater, schon jemals in Liebe gewesen bist und also dies Gef?hl kennst?«  —»Was mich betrifft, lieber Ponto«, erwiderte ich,»glaube ich nicht, da? ich schon geliebt habe oder liebe, da ich mir bewu?t bin, noch nicht in den Zustand geraten zu sein, wie ihn mehrere Dichter beschreiben. Den Dichtern ist nicht allemal ganz zu trauen, nach dem was ich aber sonst dar?ber wei? und gelesen habe, mu? die Liebe eigentlich nichts anders sein, als ein psychischer Krankheitszustand, der sich bei dem menschlichen Geschlecht als partieller Wahnsinn darin offenbart, da? man irgendeinen Gegenstand f?r etwas ganz anders h?lt, als was er eigentlich ist, z. B. ein kleines dickes Ding von M?dchen, welche Str?mpfe stopft, f?r eine G?ttin. Doch fahre nur fort, geliebter Pudel, in deiner Erz?hlung von den beiden Freunden Formosus und Walter.«—

«Walter«, so sprach Ponto weiter,»st?rzte dem Formosus an den Hals und sprach unter vielen Tr?nen: ›Du raubst mir das Gl?ck meines Lebens, aber da? Du es bist, da? Du gl?cklich wirst, das ist mein Trost, lebe wohl, mein Geliebter, lebe wohl auf ewig!‹ – Darauf lief Walter in den Busch, wo er am dicksten war, und wollte sich totschie?en. Es unterblieb aber, weil er in der Verzweiflung vergessen hatte, das Pistol zu laden, er begn?gte sich daher mit einigen Ausbr?chen des Wahnsinnes, die jeden Tag wiederkehrten. Eines Tages trat Formosus, den er in vielen Wochen nicht gesehen, ganz unvermutet zu ihm herein, als er eben vor Ulrikens Pastellgem?lde, das unter Glas und Rahmen an der Wand hing, auf den Knien lag und gr??lich lamentierte. – ›Nein‹, rief Formosus, indem er den Walter an seine Brust dr?ckte, ›ich konnte Deinen Schmerz, Deine Verzweiflung nicht ertragen, Dir opfere ich gern mein Gl?ck. – Ich habe Ulriken entsagt, ich habe den alten Vater dahin gebracht, da? er Dich zum Eidam annimmt. – Ulrike liebt Dich, vielleicht ohne es selbst zu wissen. – Bewirb Dich um sie, ich scheide. – Lebe wohl!‹ – Er wollte fort, Walter hielt ihn fest. Es war diesem, als l?ge er im Traum, er glaubte an alles nicht fr?her, als bis Formosus ein eigenh?ndiges Billett des alten Pr?sidenten hervorzog, worin es ungef?hr hie?: ›Edler J?ngling! Du hast gesiegt, ungern lasse ich Dich, aber ich ehre Deine Freundschaft, die dem Heroismus gleicht, von welchem man in den alten Skribenten lieset. Mag Herr Walter, der ein Mann ist von l?blichen Eigenschaften und ein sch?nes eintr?gliches Amt hat, sich um meine Tochter Ulrike bewerben; will sie ihn ehelichen, so habe ich meinerseits nichts dagegen.‹ – Formosus verreiste wirklich, Walter bewarb sich um Ulriken, Ulrike wurde wirklich Walters Frau. – Der alte Pr?sident schrieb nun nochmals an Formosus, ?berh?ufte ihn mit Lobspr?chen und fragte, ob es ihm vielleicht Vergn?gen machen w?rde, nicht etwa als Entsch?digung, denn er wisse wohl, da? es in solchem Fall keine gebe, sondern nur als ein geringes Zeichen seiner innigen Zuneigung dreitausend Taler anzunehmen. Formosus antwortete, der Alte kenne die Geringf?gigkeit seiner Bed?rfnisse, Geld mache, k?nne ihn nicht gl?cklich machen, und nur die Zeit ihn tr?sten ?ber einen Verlust, an dem niemand schuld sei als das Schicksal, welches in der Brust des teuren Freundes die Liebe zu Ulriken entz?ndet, und nur dem Schicksal sei er gewichen, von irgendeiner edlen Tat daher gar nicht die Rede. ?brigens nehme er das Geschenk unter der Bedingung, da? der Alte es einer armen Witwe, die da und da mit einer tugendhaften Tochter in trostlosem Elende lebe, zuwende. Die Witwe wurde ausfindig gemacht und erhielt die dem Formosus zugedachten dreitausend Reichstaler. Bald darauf schrieb Walter dem Formosus: ›Ich kann nicht mehr leben ohne Dich, kehre zur?ck in meine Arme!‹ – Formosus tat es und erfuhr, als er gekommen, da? Walter seinen sch?nen eintr?glichen Posten aufgegeben, unter der Bedingung, da? Formosus, der sich l?ngst einen ?hnlichen gew?nscht, ihn erhalte. Formosus erhielt den Posten wirklich und geriet, rechnete man die get?uschte Hoffnung r?cksichts der Heirat mit Ulriken ab, in die behaglichste Lage. Stadt und Land erstaunte ?ber den Wettstreit des Edelmuts beider Freunde, ihre Tat wurde als Nachklang aus einer l?ngst vergangenen sch?neren Zeit vernommen, als Beispiel aufgestellt eines Heroismus, dessen nur hohe Geister f?hig.«

«In der Tat«, begann ich, als Ponto schwieg,»nach allem, was ich gelesen, m?ssen Walter und Formosus edle kr?ftige Menschen sein, die in treuer Aufopferung f?r einander nichts von deiner ger?hmten Weltklugheit wissen.«

«Hm«, erwiderte Ponto h?misch l?chelnd,»es kommt darauf an! – Ein paar Umst?nde, von denen die Stadt keine Notiz genommen, und die ich zum Teil von meinem Herrn erfahren, teils selbst belauscht habe, sind noch nachzuholen. – Mit der Liebe des Herrn Formosus zu der reichen Pr?sidententochter mu? es doch nicht so arg gewesen sein, wie der Alte glaubte, denn im h?chsten Stadium dieser t?tenden Leidenschaft unterlie? der junge Mann nicht, nachdem er den Tag ?ber verzweifelt, jeden Abend eine h?bsche niedliche Putzmacherin zu besuchen. Als Ulrike nun aber seine Braut worden, fand er bald, da? das engelsmilde Fr?ulein das eigne Talent besa?, sich bei schicklicher Gelegenheit pl?tzlich in einen kleinen Satan zu verwandeln. Au?erdem kam ihm aus sicherer Quelle die verdrie?liche Nachricht zu, da? Fr?ulein Ulrike in der Residenz, was Liebe und Liebesgl?ck betrifft, ganz besondere Erfahrungen gemacht, und nun ergriff ihn pl?tzlich ein unwiderstehlicher Edelmut, verm?ge dessen er die reiche Braut dem Freunde abtrat. Walter hatte sich in seltsamer Verwirrung in Ulriken, die er an ?ffentlichen Orten im h?chsten Glanz aller Toilettenk?nste gesehen, wirklich verliebt, und Ulriken ihrerseits war es ziemlich einerlei, wer von beiden sich ihr als Gemahl anheftete, Formosus oder Walter. Dieser hatte auch wirklich ein sch?nes eintr?gliches Amt, bei dessen Verwaltung aber solche krause Streiche gemacht, da? er der Entsetzung binnen weniger Zeit entgegensehen mu?te. Er zog es vor, fr?her zugunsten seines Freundes den Abschied zu nehmen und so durch einen Akt, der alle Kennzeichen der edelsten Gesinnung trug, seine Ehre zu retten. Die dreitausend Taler wurden in guten Papieren einer alten, sehr anst?ndigen Frau eingeh?ndigt, die zuweilen die Mutter, zuweilen die Muhme, zuweilen die Aufw?rterin jener h?bschen Putzmacherin vorstellte. Bei diesem Gesch?ft erschien sie in doppelter Gestalt. Erst bei dem Empfang des Geldes als Mutter, dann, als sie das Geld ?berbrachte und einen guten Tragelohn empfing, als Aufw?rterin des M?dchens, die du kennst, lieber Murr, da sie eben erst mit dem Herrn Formosus zum Fenster hinausschaute. – ?brigens wissen beide, Formosus und Walter l?ngst, auf welche Weise sie sich in edelm?tiger Gesinnung ?berboten, sie haben sich, um wechselseitigen Lobeserhebungen auszuweichen, lange vermieden, und deshalb waren ihre heutigen Begr??ungen, als der Zufall sie auf der Stra?e zusammenf?hrte, so herzlich.«—
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