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Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра

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«Nein nein«, rief der Geheimerat,»dem ist nicht so, denn ich wei? wenigstens, da? in der Heide ein h?bscher kleiner Garten steht, mit einem bl?henden Apfelbaum, der mein feinstes K?nigspulver ?berduftet. Nun! ich meine, Johannes, Du r?ckst hervor mit der Erinnerung aus Deiner fr?hern Jugendzeit, die heute, wie Du erst sagtest, Deine ganze Seele bef?ngt.«

«Ich d?chte«, sprach Meister Abraham, indem er dem eben fertig gewordenen Kapuziner die Tonsur einschnitt,»ich d?chte auch, Kreisler, da? Ihr in Eurer heutigen passablen Stimmung nichts Besseres tun k?nntet, als Euer Herz oder Euer Gem?t, oder wie Ihr sonst gerade Euer inneres Schatzk?stlein nennen m?get, aufschlie?en, und dies, jenes daraus hervorlangen. Das hei?t, da Ihr nun einmal verraten, da? Ihr wider den Willen des besorgten Oheims im Regen hinausliefet und abergl?ubischerweise auf die Weissagungen des sterbenden Donners horchtet, so m?get Ihr immer noch mehr erz?hlen, wie sich damals alles begab. Aber l?gt nicht, Johannes, denn Ihr wi?t, da? Ihr, was wenigstens die Zeit betrifft, als Ihr die ersten Hosen truget, und dann der erste Haarzopf Euch eingeflochten wurde, unter meiner Kontrolle stehet.«

Kreisler wollte etwas erwidern, aber Meister Abraham wandte sich schnell zum kleinen Geheimenrat und sprach:»Sie glauben gar nicht, Vortrefflichster, wie unser Johannes sich dem b?sen Geist des L?gens ganz und gar hingibt, wenn er, wie es jedoch gar selten geschieht, von seiner fr?hesten Jugendzeit erz?hlt. Gerade wenn die Kinder noch sagen: ›P? p? und M? m?!‹ und mit den Fingern ins Licht fahren, gerade zu der Zeit will er schon alles beachtet, und tiefe Blicke getan haben ins menschliche Herz.«

«Ihr tut mir unrecht«, sprach Kreisler, mild l?chelnd, mit sanfter Stimme,»Ihr tut mir gro?es Unrecht, Meister! Sollt' es mir denn m?glich sein, Euch was weismachen zu wollen von fr?hreifem Geistesverm?gen, wie es wohl eitle Gecken tun? – Und ich frage Dich, Geheimerrat, ob es Dir auch nicht widerf?hrt, da? oft Momente lichtvoll vor Deine Seele treten aus einer Zeit, die manche erstaunlich kluge Leute ein blo?es Vegetieren nennen und nichts statuieren wollen, als blo?en Instinkt, dessen h?here Vortrefflichkeit wir den Tieren einr?umen m?ssen! – Ich meine, da? es damit eine eigene Bewandnis hat! – Ewig unerforschlich bleibt uns das erste Erwachen zum klaren Bewu?tsein! – W?re es m?glich, da? dies mit einem Ruck geschehen k?nnte, ich glaube, der Schreck dar?ber m??te uns t?ten. – Wer hat nicht schon die Angst der ersten Momente im Erwachen aus tiefem Traum, bewu?tlosen Schlaf empfunden, wenn er sich selbst f?hlend, sich auf sich selbst besinnen mu?te! – Doch, um mich nicht zu weit zu verlieren, ich meine, jeder starke psychische Eindruck in jener Entwicklungszeit l??t wohl ein Samenkorn zur?ck, das eben mit dem Emporsprossen des geistigen Verm?gens fortgedeiht, und so lebt aller Schmerz, alle Lust jener Stunden der Morgend?mmerung in uns fort, und es sind wirklich die s??en wehmutsvollen Stimmen der Lieben, die wir, als sie uns aus dem Schlafe weckten, nur im Traum zu h?ren glaubten, und die noch in uns forthallen! – Ich wei? aber, worauf der Meister anspielt. Auf nichts anders, als auf die Geschichte von der verstorbenen Tante, die er mir wegstreiten will, und die ich, um ihn erklecklich zu ?rgern, nun gerade Dir, Geheimerat erz?hlen werde, wenn Du mir versprichst, mir was weniges empfindelnde Kinderei zu Gute zu halten. – Was ich Dir von der Erbssuppe und dem Lautenisten«—»O«, unterbrach der Geheimerat den Kapellmeister,»still still, nun merk' ich wohl, Du willst mich foppen, und das ist denn doch wider alle Sitte und Ordnung.«

«Keinesweges«, fuhr Kreisler fort,»mein Herz! Aber von dem Lautenisten mu? ich anfangen; denn er bildet den nat?rlichsten ?bergang zur Laute, deren Himmelst?ne das Kind in s??e Tr?ume wiegten. Die j?ngere Schwester meiner Mutter war Virtuosin auf diesem, zur Zeit in die musikalische Polterkammer verwiesenen Instrument. Gesetzte M?nner, die schreiben und rechnen k?nnen und wohl noch mehr als das, haben in meiner Gegenwart Tr?nen vergossen, wenn sie blo? dachten an das Lautenspiel der seligen Mamsell Sophie, mir ist es deshalb gar nicht zu verdenken, wenn ich ein durstig Kind, meiner selbst nicht m?chtig, noch ohne in Wort und Rede aufgekeimtes Bewu?tsein, alle Wehmut des wunderbaren Tonzaubers, den die Lautenistin aus ihrem Innersten str?men lie?, in begierigen Z?gen einschl?rfte. – Jener Lautenist an der Wiege war aber der Lehrer der Verstorbenen, klein von Person, mit hinl?nglich krummen Beinen, hie? Monsieur Turtel, und trug eine sehr saubere wei?e Per?cke mit einem breiten Haarbeutel, sowie einen roten Mantel. – Ich sage das nur, um zu beweisen, wie deutlich mir die Gestalten aus jener Zeit aufgehen, und da? weder Meister Abraham, noch sonst jemand, daran zweifeln darf, wenn ich behaupte, da? ich, ein Kind von noch nicht drei Jahren, mich finde auf dem Scho? eines M?dchens, deren mild blickende Augen mir recht in die Seele leuchteten, da? ich noch die s??e Stimme h?re, die zu mir sprach, zu mir sang, da? ich es noch recht gut wei?, wie ich der anmutigen Person all' meine Liebe, all' meine Z?rtlichkeit zuwandte. Dies war aber eben Tante Sophie, die in seltsamer Verk?rzung ›F??chen‹ gerufen wurde. Eines Tages lamentierte ich sehr, weil ich Tante F??chen nicht gesehen hatte. Die W?rterin brachte mich in ein Zimmer, wo Tante F??chen im Bette lag, aber ein alter Mann, der neben ihr gesessen, sprang schnell auf, und f?hrte, heftig scheltend, die W?rterin, die mich auf dem Arm hatte, heraus. Bald darauf kleidete man mich an, h?llte mich ein in dicke T?cher, brachte mich ganz und gar in ein anderes Haus zu andern Personen, die s?mtlich Onkel und Tanten von mir sein wollten, und versicherten, da? Tante F??chen sehr krank sei, und ich, w?re ich bei ihr geblieben, ebenso krank geworden sein w?rde. Nach einigen Wochen brachte man mich zur?ck nach meinem vorigen Aufenthalt. Ich weinte, ich schrie, ich wollte zu Tante F??chen. Sowie ich in jenes Zimmer gekommen, trippelte ich hin an das Bette, in dem Tante F??chen gelegen, und zog die Gardinen auseinander. Das Bette war leer, und eine Person, die nun wieder eine Tante von mir war, sprach, indem ihr die Tr?nen aus den Augen st?rzten: ›Du findest sie nicht mehr, Johannes, sie ist gestorben, und liegt unter der Erde.‹ —

Ich wei? wohl, da? ich den Sinn dieser Worte nicht verstehen konnte, aber noch jetzt, jenes Augenblicks gedenkend, erbebe ich in dem namenlosen Gef?hl, das mich damals erfa?te. Der Tod selbst pre?te mich hinein in seinen Eispanzer, seine Schauer drangen in mein Innerstes und vor ihnen erstarrte alle Lust der ersten Knabenjahre. – Was ich begann, wei? ich nicht mehr, w??te es vielleicht niemals, aber erz?hlt hat man mir oft genug, da? ich langsam die Gardinen fahren lie?, ganz ernst und still einige Augenblicke stehen blieb, dann aber, wie tief in mich gekehrt und dar?ber nachsinnend, was man mir eben gesagt, mich auf ein kleines Rohrst?hlchen setzte, das mir eben nahe stand. Man f?gte hinzu, da? diese stille Trauer des sonst zu den lebhaftesten Ausbr?chen geneigten Kindes etwas unbeschreiblich R?hrendes gehabt, und da? man selbst einen nachteiligen psychischen Einflu? gef?rchtet, da ich mehrere Wochen in demselben Zustande geblieben, nicht weinend, nicht lachend, zu keinem Spiel aufgelegt, kein freundlich Wort erwidernd, nichts um mich her beachtend.«—

In diesem Augenblick nahm Meister Abraham ein in Kreuz- und Querz?gen wunderlich durchschnittenes Blatt zur Hand, hielt es vor die brennenden Kerzen, und auf der Wand reflektierte sich ein ganzes Chor von Nonnen, die auf seltsamen Instrumenten spielten.

«Hoho!«rief Kreisler, indem er die ganz artig geordnete Gruppe der Schwestern erblickte,»hoho Meister, ich wei? wohl, woran Ihr mich erinnern wollt! – Und noch jetzt behaupte ich keck, da? Ihr unrecht tatet mich auszuschelten, mich einen st?rrigen, unverst?ndigen Burschen zu nennen, der durch die dissonierende Stimme seiner Torheit einen ganzen singenden und spielenden Konvent aus Ton und Takt bringen k?nne. Hatte ich nicht zu der Zeit, als Ihr mich, zwanzig oder drei?ig Meilen weit von meiner Vaterstadt, in das Klarissen-Kloster f?hrtet, um die erste wahrhaft katholische Kirchenmusik zu h?ren; hatte ich, sag' ich, damals nicht den gerechtesten Anspruch auf die brillanteste L?mmelhaftigkeit, da ich gerade mitten in den L?mmeljahren stand? War es nicht desto sch?ner, da? dem unerachtet der l?ngst verwundene Schmerz des dreij?hrigen Knaben erwachte mit neuer Kraft, und einen Wahn gebar, der meine Brust mit allem t?tenden Entz?cken der herzzerschneidendsten Wehmut erf?llte? – Mu?te ich nicht behaupten, und alles Einredens unerachtet dabei bleiben, da? niemand anders das wunderliche Instrument, die Trompette marine gehei?en, spiele, als Tante F??chen, unerachtet sie l?ngst verstorben? – Warum hieltet Ihr mich ab, einzudringen in den Chor, wo ich sie wiedergefunden hatte in ihrem gr?nen Kleide mit ros'farbnen Schleifen!«—

Nun starrte Kreisler hin nach der Wand, und sprach mit bewegter, zitternder Stimme:»Wahrhaftig! – Tante F??chen ragt hervor unter den Nonnen! – Sie ist auf eine Fu?bank getreten um das schwierige Instrument besser handhaben zu k?nnen. «Doch der Geheimerat trat vor ihn hin, so da? er ihm den Anblick des Schattenbildes entzog, fa?te ihn bei beiden Schultern und begann:»In der Tat, Johannes! es w?re gescheuter, Du ?berlie?est Dich nicht Deinen seltsamen Tr?umereien und spr?chest nicht von Instrumenten die gar nicht existieren, denn in meinem Leben habe ich nichts geh?rt von einer Trompette marine!«  —

«O«, rief Meister Abraham lachend, indem er, das Blatt unter den Tisch werfend, den ganzen Nonnenkonvent samt der chim?rischen Tante F??chen mit ihrer Trompette marine schnell verschwinden lie?,»o mein w?rdigster Geheimerat, der Herr Kapellmeister ist auch jetzt wie immer, ein vern?nftiger, ruhiger Mann, und kein Phantast oder Haselant, wof?r ihn gern viele ausgeben m?chten. Ist es nicht m?glich, da? die Lautenistin, nachdem sie Todes verblichen, sich mit Effekt auf das wunderbare Instrument verlegte, welches sie vielleicht noch jetzt hin und wider in Nonnenkl?stern wahrnehmen und dar?ber in Erstaunen geraten k?nnen? – Wie! – Die Trompette marine soll nicht existieren? – Schlagen Sie doch nur diesen Artikel gef?lligst in Kochs musikalischem Lexikon nach, das Sie ja selbst besitzen.«

Der Geheimerat tat es auf der Stelle, und las laut:

«Dieses alte ganz einfache Bogeninstrument besteht aus drei d?nnen, sieben Schuh langen Brettern, die unten, wo das Instrument auf dem Fu?boden aufstehet, sechs bis sieben Zoll, oben aber kaum zwei Zoll breit und in der Form eines Triangels zusammengeleimt sind, so da? das Korpus, welches oben eine Art von Wirbelkasten hat, von unten bis oben verj?ngt zul?uft. Eins von diesen drei Brettern macht den Sangboden aus, der mit einigen Schall?chern versehen, und mit einer einzigen, etwas starken Darmsaite bezogen ist. Bei dem Spielen stellt man das Instrument schief vor sich hin, und stemmt den obern Teil desselben gegen die Brust. Mit dem Daumen der linken Hand ber?hrt der Spieler die Saite da, wo die zu greifenden T?ne liegen, ganz gelinde und ungef?hr ebenso wie bei dem Flautino oder Flageolett auf der Geige, w?hrend mit der rechten Hand die Saite mit dem Bogen angestrichen wird. Der eigent?mliche Ton dieses Instruments, der dem Tone einer ged?mpften Trompete gleicht, wird durch den besondern Steg hervorgebracht, auf welchem die Saite unten auf dem Resonanzboden ruhet. Dieser Steg hat beinahe die Gestalt eines kleinen Schuhes, der vorn ganz niedrig und d?nne, hinten hingegen h?her und st?rker ist. Auf dem hintern Teile desselben liegt die Saite auf, und verursacht, wenn sie angestrichen wird, durch ihre Schwingungen, da? sich der vordere und leichte Teil des Steges auf dem Sangboden auf und nieder bewegt, wodurch der schnarrende, und der ged?mpften Trompete ?hnliche Ton, hervorgebracht wird!«—

«Baut mir ein solches Instrument«, rief der Geheimerat mit gl?nzenden Augen,»Meister Abraham, ich werfe meine Nagelgeige in den Winkel, ber?hre nicht mehr den Euphon, sondern setze Hof und Stadt in Erstaunen, auf der Trompette marine die wunderbarsten Lieder spielend!«—

«Ich tue das«, erwiderte Meister Abraham,»und m?ge, bester Geheimerat, der Geist von Tante F??chen im gr?ntaftnen Kleide ?ber Sie kommen, und Sie eben als Geist begeistern!«—

Der Geheimerat umarmte entz?ckt den Meister, aber Kreisler trat zwischen beide, indem er beinahe ?rgerlich sprach.»Ei, seid Ihr nicht ?rgere Haselanten, als ich jemals einer gewesen bin, und dabei unbarmherzig gegen den, den Ihr zu lieben vorgebt! – Begn?gt Euch doch damit, da? Ihr mit jener Beschreibung eines Instruments, dessen Ton mein Innerstes durchbebte, mir Eiswasser ?ber die hei?e Stirn gegossen, und schweigt von der Lautenistin! – Nun, Du wolltest ja Geheimerat, ich sollte von meiner Jugend sprechen, und schnitt der Meister dazu Schattenbilder, die zu Momenten aus jener Zeit pa?ten, so konntest Du mit der sch?nen, mit Kupferstichen verzierten, Ausgabe meiner biographischen Skizzen zufrieden sein. Als Du aber den Artikel aus dem Koch lasest, fiel mir sein lexikalischer Kollege Gerber ein, und ich erblickte mich, einen Leichnam, ausgestreckt auf der Tafel liegend, bereit zur biographischen Sektion. – Der Prospekt k?nnte sagen: ›Es ist gar nicht zu verwundern, da? in dem Innern dieses jungen Mannes durch tausend Adern und ?derchen lauter musikalisches Blut l?uft, denn das war der Fall bei vielen seiner Blutsverwandten, deren Blutsverwandter er eben deshalb ist.‹ – Ich will n?mlich sagen, da? die mehrsten von meinen Tanten und Onkels, deren es, wie der Meister wei?, und Du eben erst erfahren hast, eine nicht geringe Anzahl gab, Musik trieben, und noch dazu meistenteils Instrumente spielten, die schon damals sehr selten waren, jetzt aber zum Teil verschwunden sind, so, da? ich nur noch im Traum die ganz wunderbar klingenden Konzerte vernehme, die ich ungef?hr bis zu meinem zehnten, eilften Jahr h?rte. – Mag es sein, da? deshalb mein musikalisches Talent schon im ersten Aufkeimen die Richtung genommen hat, die in meiner Art zu instrumentieren sich kund tun soll, und die man als zu phantastisch verwirft. – Kannst Du Dich, Geheimerat, der Tr?nen enthalten, wenn Du recht sch?n auf dem uralten Instrument, auf der Viola d'Amore, spielen h?rst, so danke dem Sch?pfer f?r Deine robuste Konstitution; ich f?r mein Teil flennte betr?chtlich, als der Ritter E?er sich darauf h?ren lie?, fr?her aber noch mehr, wenn ein gro?er ansehnlicher Mann, dem die geistliche Kleidung ungemein gut stand, und der nun wieder mein Onkel war, mir darauf vorspielte. So war denn auch eines andern Verwandten Spiel auf der Viola di Gamba gar angenehm und verlockend, wiewohl derjenige Onkel, der mich erzog, oder vielmehr nicht erzog, und der das Spinett mit barbarischer Virtuosit?t zu hantieren wu?te, ihm mit Recht Mangel an Takt vorwarf. Der Arme geriet auch bei der ganzen Familie in nicht geringe Verachtung, als man erfahren, da? er in aller Fr?hlichkeit nach der Musik einer Sarabande eine Menuett ? la Pompadour getanzt. Ich k?nnte Euch ?berhaupt viel erz?hlen von den musikalischen Belustigungen meiner Familie, die oft einzig in ihrer Art sein mochten, aber es w?rde manches Groteske mit unter laufen, wor?ber Ihr lachen m??tet; und meine werten Verwandten Eurem Gel?chter preiszugeben, das verbietet mir der Respectus Parentelis.«

«Johannes«, begann der Geheimerat,»Du wirst es mir in Deiner Gem?tlichkeit nicht verargen, wenn ich eine Saite in Deinem Innern anschlage, deren Ber?hrung Dich vielleicht schmerzt. – Immer sprichst Du von Onkeln, von Tanten, nicht gedenkst Du Deines Vaters, Deiner Mutter!«—

«O mein Freund«, erwiderte Kreisler mit dem Ausdruck der tiefsten Bewegung,»eben heute gedachte ich, – doch nein, nichts mehr von Erinnerungen, von Tr?umen, nichts von dem Augenblick, der heute alles nur gef?hlte, nicht verstandene Weh meiner fr?hen Knabenzeit weckte, aber eine Ruhe kam dann in mein Gem?t, die der ahnungsvollen Stille des Waldes gleicht, wenn der Gewittersturm vor?ber! Ja Meister, Ihr habt recht, ich stand unter dem Apfelbaum, und horchte auf die weissagende Stimme des hinsterbenden Donners! – Du kannst Dir deutlicher die dumpfe Bet?ubung denken, in der ich wohl ein paar Jahre fortleben mochte, als ich Tante F??chen verloren, wenn ich Dir sage, da? der Tod meiner Mutter, der in diese Zeit f?llt, keinen sonderlichen Eindruck auf mich machte. Weshalb aber mein Vater mich ganz dem Bruder meiner Mutter ?berlie?, oder ?berlassen mu?te, darf ich Dir nicht sagen, da Du ?hnliches in manchem verbrauchten Familienroman, oder in irgendeiner Ifflandschen Hauskreuzkom?die nachlesen kannst. Es gen?gt, Dir zu sagen, da?, wenn ich meine Knaben-, ja einen guten Teil meiner J?nglingsjahre, im trostlosen Einerlei verlebte, dies wohl eben dem Umstande zuzuschreiben, da? ich elternlos war. Der schlechte Vater ist noch immer viel besser, als jeder gute Erzieher, mein' ich, und mir schauert die Haut, wenn Eltern in lieblosem Unverstande ihre Kinder von sich lassen und verweisen in diese, jene Erziehungsanstalt, wo die Armen ohne R?cksicht auf ihre Individualit?t, die ja niemanden anders als eben den Eltern recht klar aufgehen kann, nach bestimmter Norm zugeschnitten und appretiert werden. – Was nun eben die Erziehung betrifft, so darf sich kein Mensch auf Erden dar?ber verwundern, da? ich ungezogen bin, denn der Oheim zog oder erzog mich ganz und gar nicht, sondern ?berlie? mich der Willk?r der Lehrer, die ins Haus kamen, da ich keine Schule besuchen, und auch durch irgendeine Bekanntschaft mit einem Knaben meines Alters die Einsamkeit des Hauses, das der unverheiratete Oheim mit einem alten tr?bsinnigen Bedienten allein bewohnte, nicht st?ren durfte. – Ich besinne mich nur auf drei verschiedene F?lle, in denen der beinahe bis zum Stumpfsinn gleichg?ltige, ruhige Oheim einen kurzen Akt der Erziehung vornahm, indem er mir eine Ohrfeige zuteilte, so, da? ich wirklich w?hrend meiner Knabenzeit drei Ohrfeigen empfangen. Ich k?nnte Dir, mein Geheimerat, da ich eben zum Schwatzen so aufgelegt, die Geschichte von den drei Ohrfeigen als ein romantisches Kleeblatt auftischen, doch hebe ich nur die mittelste heraus, da ich wei?, da? Du auf nichts so erpicht bist, als auf meine musikalischen Studien, und es Dir nicht gleichg?ltig sein kann, zu erfahren, wie ich zum erstenmal komponierte. – Der Oheim hatte eine ziemlich starke Bibliothek, in der ich nach Gefallen st?bern und lesen durfte was ich wollte; mir fielen Rousseau's ›Bekenntnisse‹ in der deutschen ?bersetzung in die H?nde. Ich verschlang das Buch, das eben nicht f?r einen zw?lfj?hrigen Knaben geschrieben, und das den Samen manches Unheils in mein Inneres h?tte streuen k?nnen. Aber nur ein einziger Moment aus allen, zum Teil sehr verf?nglichen, Begebenheiten erf?llte mein Gem?t so ganz und gar, da? ich alles ?brige dar?ber verga?. Gleich elektrischen Schl?gen traf mich n?mlich die Erz?hlung, wie der Knabe Rousseau von dem m?chtigen Geist seiner innern Musik getrieben, sonst aber ohne alle Kenntnis der Harmonik, des Kontrapunkts, aller praktischen Hilfsmittel, sich entschlie?t, eine Oper zu komponieren, wie er die Vorh?nge des Zimmers herabl??t, wie er sich aufs Bette wirft, um sich ganz der Inspiration seiner Einbildungskraft hinzugeben, wie ihm nun sein Werk aufgeht, gleich einem herrlichen Traum! – Tag und Nacht verlie? mich nicht der Gedanke an diesen Moment, mit dem mir die h?chste Seligkeit ?ber den Knaben Rousseau gekommen zu sein schien! – Oft war es mir, als sei ich auch schon dieser Seligkeit teilhaftig geworden, und dann, nur von meinem festen Entschlusse h?nge es ab, mich auch in dies Paradies hinaufzuschwingen, da der Geist der Musik in mir ebenso m?chtig beschwingt sei. Genug, ich kam dahin, es meinem Vorbilde nachmachen zu wollen. Als n?mlich an einem st?rmischen Herbstabend, der Oheim wider seine Gewohnheit das Haus verlassen, lie? ich sofort die Vorh?nge herab, und warf mich auf des Oheims Bett, um, wie Rousseau, eine Oper im Geiste zu empfangen. So vortrefflich aber die Anstalten waren, so sehr ich mich abm?hte, den dichterischen Geist heranzulocken, doch blieb er im st?rrischen Eigensinn davon. Durchaus summte mir, statt aller herrlichen Gedanken, die mir aufgehen sollten, ein altes erb?rmliches Lied vor den Ohren, dessen weinerlicher Text begann: ›Ich liebte nur Ismenen, Ismene liebt' nur mich‹, und lie?, so sehr ich mich dagegen str?ubte, nicht nach. ›Jetzt kommt der erhabene Priesterchor: Hoch von Olympos H?h'n‹, rief ich mir zu, aber: ›Ich liebte nur Ismenen‹, summte die Melodie fort und unaufh?rlich fort, bis ich zuletzt fast einschlief. Mich weckten laute Stimmen, indem ein unertr?glicher Geruch mir in die Nase fuhr und den Atem versetzte. Das ganze Zimmer war von dickem Rauch erf?llt, und in dem Gew?lk stand der Oheim, und trat die Reste der flammenden Gardine, die den Kleiderschrank verbarg, nieder und rief: ›Wasser her – Wasser her!‹ bis der alte Diener Wasser in reichlicher F?lle herbeibrachte, ?ber den Boden ausgo?, und so das Feuer l?schte. Der Rauch zog langsam durch die Fenster. ›Wo ist nur der Ungl?cksvogel,‹ fragte der Oheim, indem er im Zimmer umherleuchtete. Ich wu?te wohl, welchen Vogel er meinte, und blieb m?uschenstill im Bette, bis der Oheim hinantrat und mir mit einem zornigen: ›Will Er wohl gleich heraus!‹ auf die Beine half. ›Steckt mir der B?sewicht das Haus ?ber dem Kopfe an,‹ fuhr der Onkel fort! Ich versicherte, auf weiteres Befragen, ganz ruhig, da? ich auf dieselbe Weise wie der Knabe Rousseau nach dem Inhalt seiner Bekenntnisse es getan, eine Opera seria im Bett komponiert h?tte, und da? ich durchaus gar nicht wisse, wie der Brand entstanden. – ›Rousseau? komponiert? Opera seria? – Pinsel!‹ – So stotterte der Oheim vor Zorn, und teilte mir die kr?ftige Ohrfeige zu, die ich als die zweite empfing, so da? ich, vor Schreck erstarrt, sprachlos stehen blieb, und in dem Augenblick h?rte ich wie einen Nachklang des Schlages ganz deutlich: ›Ich liebte nur Ismenen‹ usw. usw. Sowohl gegen dieses Lied, als gegen die Begeisterung des Komponierens ?berhaupt, empfand ich von diesem Augenblick an einen lebhaften Widerwillen.«

«Aber wie war nur das Feuer entstanden?«fragte der Geheimerat.

«Noch in diesem Augenblick, «erwiderte Kreisler,»ist es mir unbegreiflich, durch welchen Zufall die Gardine in Brand geriet, und einen sch?nen Schlafrock des Oheims, sowie drei oder vier sch?n frisierte Toupets, die der Oheim als partielle Per?cken-Studien aus einer Gesamtfrisur aufzusetzen pflegte, mit in ihr Verderben ri?. Mir ist es auch immer so vorgekommen, als habe ich nicht des unverschuldeten Feuers, sondern nur der unternommenen Komposition halber, die Ohrfeige erhalten. – Seltsam genug war es die Musik allein, die zu treiben mich der Oheim mit Strenge anhielt, unerachtet der Lehrer, get?uscht von dem nur momentanen Widerwillen, den ich dagegen ?u?erte, mich f?r ein durchaus unmusikalisches Prinzip hielt. Was ich ?brigens lernen oder nicht lernen mochte, das war dem Oheim v?llig gleich. ?u?erte er manchmal lebhaften Unwillen, da? es so schwer hielt, mich zur Musik anzuhalten, so h?tte man denken sollen, da? er von der Freude h?tte durchdrungen sein m?ssen, als nach ein paar Jahren der musikalische Geist sich so m?chtig in mir regte, da? er alles ?brige ?berfl?gelte, das war aber nun wieder ganz und gar nicht der Fall. Der Oheim l?chelte blo? ein wenig, wenn er bemerkte, da? ich bald mehrere Instrumente mit einiger Virtuosit?t spielte, ja da? ich manches kleine St?ck aufsetzte zur Zufriedenheit der Meister und Kenner. Ja, er l?chelte blo? ein wenig, und sprach, wenn man ihn mit Lobeserhebungen anfuhr, mit schlauer Miene: ›Ja, der kleine Neveu ist n?rrisch genug.‹«—

«So ist es mir, nahm der Geheimerat das Wort, aber ganz unbegreiflich, da? der Oheim Deiner Neigung nicht Freiheit lie?, sondern Dich hineinzwang in eine andere Laufbahn. Soviel ich n?mlich wei?, ist Deine Kapellmeisterschaft eben nicht von lange her.«

«Und auch nicht weit her«, rief Meister Abraham lachend, und fuhr, indem er das Bildnis eines kleinen, wunderlich gebauten Mannes an die Wand warf, weiter fort.»Aber nun mu? ich mich des wackern Oheims, den mancher verruchte Neffe den O weh Onkel nannte, weil er sich mit Vornamen Ottfried Wenzel schrieb, ja nun mu? ich mich seiner annehmen, und der Welt versichern, da? wenn der Kapellmeister Johannes Kreisler es sich einfallen lie?, Legationsrat zu sein und sich abzuqu?len mit seiner innersten Natur ganz widrigen Dingen, niemand weniger daran schuld ist, als eben der O weh Onkel.«—»O still davon, Meister, sprach Kreisler, und nehmt mir dort den Oheim von der Wand, denn mocht' er auch wirklich l?cherlich genug aussehen, so mag ich doch eben heute ?ber den Alten, der lange im Grabe ruht, nicht lachen!«—

«Ihr ?bernehmt Euch heute ja ganz in geziemlicher Empfindsamkeit«, erwiderte der Meister; Kreisler achtete aber nicht darauf, sondern sprach, sich zum kleinen Geheimerat wendend:»Du wirst es bedauern, mich zum Schwatzen gebracht zu haben, da ich Dir, der vielleicht das Au?erordentliche erwartete, nur Gemeines, wie es sich tausendmal im Leben wiederholt, auftischen kann. – So ist es auch gewi?, da? es nicht Erziehungszwang, nicht besonderer Eigensinn des Schicksals, nein, da? es der gew?hnlichste Lauf der Dinge war, der mich fortschob, so da? ich unwillk?rlich dort hinkam, wo ich eben nicht hin wollte. Hast du nicht bemerkt, da? es in jeder Familie einen gibt, der sich, sei es durch besonderes Genie, oder durch das gl?ckliche Zusammentreffen g?nstiger Ereignisse, zu einer gewissen H?he hinaufschwang, und der nun, ein Heros, in der Mitte des Kreises steht, zu dem die lieben Verwandten dem?tig hinaufblicken, dessen gebietende Stimme vernommen wird in entscheidenden Spr?chen, von denen keine Appellation m?glich? – So ging es mit dem j?ngern Bruder meines Oheims, der dem musikalischen Familiennest entflohen war, und in der Residenz als geheimer Legationsrat, in der N?he des F?rsten, eine ziemlich wichtige Person vorstellte. Sein Emporsteigen hatte die Familie in eine staunende Bewunderung gesetzt, die nicht nachlie?. Man nannte den Legationsrat mit feierlichem Ernst, und wenn es hie?: ›Der geheime Legationsrat hat geschrieben, der geheime Legationsrat hat das und das ge?u?ert‹, so horchte alles in stummer Ehrfurcht auf. Dadurch schon seit meiner fr?hesten Kindheit daran gew?hnt, den Oheim in der Residenz als einen Mann anzusehen, der das h?chste Ziel alles menschlichen Strebens erreicht, mu?te ich es nat?rlich finden, da? ich gar nichts anders tun konnte, als in seine Fu?tapfen treten. Das Bildnis des vornehmen Oheims hing in dem Prunkzimmer, und keinen gr??ern Wunsch hegte ich, als so frisiert, so gekleidet umherzugehen, wie der Oheim auf dem Bilde. Diesen Wunsch gew?hrte mein Erzieher, und ich mu? wirklich, als zehnj?hriger Knabe, anmutig genug ausgesehen haben, im himmelhoch frisierten Toupet, und kleinen zirkelrunden Haarbeutel, im zeisiggr?nen Rock mit schmaler silberner Stickerei, seidenen Str?mpfen und kleinem Degen. Dies kindische Streben ging tiefer ein, als ich ?lter worden, da, um mir Lust zur trockensten Wissenschaft einzufl??en, es gen?gte, mir zu sagen, dies Studium sei mir n?tig, damit ich, dem Oheim gleich, dereinst Legationsrat werden k?nne. Da? die Kunst, welche mein Inneres erf?llte, mein eigentliches Streben, die wahre einzige Tendenz meines Lebens sein d?rfe, fiel mir um so weniger ein, als ich gewohnt war, von Musik, Malerei, Poesie, nicht anders reden zu h?ren, als von ganz angenehmen Dingen, die zur Erheiterung und Belustigung dienen k?nnten. Die Schnelle, mit der ich, ohne da? sich jemals auch nur ein einziges Hindernis offenbart h?tte, durch mein erlangtes Wissen, und durch den Vorschub des Oheims in der Residenz, in der Laufbahn, die ich gewisserma?en selbst gew?hlt, vorw?rts schritt, lie? mir keinen Moment ?brig, mich umzuschauen, und die schiefe Richtung des Weges, den ich genommen, wahrzunehmen. Das Ziel war erreicht, umzukehren nicht mehr m?glich, als in einem nicht geahnten Moment die Kunst sich r?chte, der ich abtr?nnig worden, als der Gedanke eines ganzen verlornen Lebens mich mit trostlosem Weh erfa?te, als ich mich in Ketten geschlagen sah, die mir unzerbrechlich d?nkten!«—

«Gl?ckselig, heilbringend also die Katastrophe«, rief der Geheimerat,»die Dich aus den Fesseln befreite!«

«Sage das nicht«, erwiderte Kreisler,»zu sp?t trat die Befreiung ein. Mir geht es, wie jenem Gefangenen, der, als er endlich befreit wurde, dem Get?mmel der Welt, ja dem Licht des Tages, so entw?hnt war, da? er, nicht verm?gend der goldnen Freiheit zu genie?en, sich wieder zur?cksehnte in den Kerker.«

«Das ist«, nahm Meister Abraham das Wort,»nun eine von Euern konfusen Ideen, Johannes, mit denen Ihr Euch und andere plagt! – Geht! geht! – Immer hat es das Schicksal mit Euch gut gemeint, aber da? Ihr nun einmal nicht im gew?hnlichen Trott bleiben k?nnt, da? Ihr rechts, links hinausspringt aus dem Wege, daran ist niemand schuld als Ihr selbst. Recht habt Ihr indessen wohl, da?, was Eure Knabenjahre betrifft, Euer Stern besonders waltete, und – «

Zweiter Abschnitt

Lebenserfahrungen des J?nglings

Auch ich war in Arkadien

(M. f. f.) —»N?rrisch genug und zugleich ungemein merkw?rdig w?r' es doch«, sprach eines Tages mein Meister zu sich selbst,»wenn der kleine graue Mann dort unter dem Ofen wirklich die Eigenschaften besitzen sollte, die der Professor ihm andichten will! – Hm! ich d?chte, er k?nnte mich dann reich machen, mehr als mein unsichtbares M?dchen es getan. Ich sperrt' ihn ein in einen K?ficht, er m??te seine K?nste machen vor der Welt, die reichlichen Tribut daf?r gern zahlen w?rde. Ein wissenschaftlich gebildeter Kater will doch immer mehr sagen, als ein fr?hreifer Junge, dem man die Exercitia eingetrichtert. ?berdem erspart' ich mir einen Schreiber! – Ich mu? dem Dinge n?her auf die Spur kommen!«

Ich gedachte, als ich des Meisters verf?ngliche Worte vernahm, der Warnung meiner unverge?lichen Mutter Mina, und wohl mich h?tend, auch nur durch das geringste Zeichen zu verraten, da? ich den Meister verstanden, nahm ich mir fest vor, auf das sorgf?ltigste meine Bildung zu verbergen. Ich las und schrieb daher nur des Nachts, und erkannte auch dabei mit Dank die G?te der Vorsehung, die meinem verachteten Geschlechte manchen Vorzug vor den zweibeinigen Gesch?pfen, die sich, Gott wei? warum, die Herren der Sch?pfung nennen, gegeben hat. Versichern kann ich n?mlich, da? ich bei meinen Studien weder des Lichtziehers noch des ?lfabrikanten bedurfte, da der Phosphor meiner Augen hell leuchtet in der finstersten Nacht. Gewi? ist es daher auch, da? meine Werke erhaben sind ?ber den Vorwurf, der irgendeinem Schriftsteller aus der alten Welt gemacht wurde, da? n?mlich die Erzeugnisse seines Geistes nach der Lampe r?chen. Doch innig ?berzeugt von der hohen Vortrefflichkeit, mit der mich die Natur begabt hat, mu? ich doch gestehen, da? alles hienieden gewisse Unvollkommenheiten in sich tr?gt, die wieder ein gewisses abh?ngiges Verh?ltnis verraten. Von den leiblichen Dingen, die die ?rzte nicht nat?rlich nennen, unerachtet sie mir eben recht nat?rlich d?nken, will ich gar nicht reden, sondern nur r?cksichts unseres psychischen Organismus bemerken, da? sich auch darin jene Abh?ngigkeit recht deutlich offenbaret. Ist es nicht ewig wahr, da? unsern Flug oft Bleigewichte hemmen, von denen wir nicht wissen, was sie sind, woher sie kommen, wer sie uns angeh?ngt?

Doch besser und richtiger ist es wohl, wenn ich behaupte, da? alles ?bel vom b?sen Beispiel herr?hrt, und da? die Schw?che unserer Natur lediglich darin liegt, da? wir dem b?sen Beispiel zu folgen gezwungen sind. ?berzeugt bin ich auch, da? das menschliche Geschlecht recht eigentlich dazu bestimmt ist, dies b?se Beispiel zu geben.

Bist du geliebter Katerj?ngling, der du dieses liesest, nicht einmal in deinem Leben in einen Zustand geraten, der, dir selbst unerkl?rlich, dir ?berall die bittersten Vorw?rfe und vielleicht auch – einige t?chtige Bisse deiner Kumpane zuzog? Du warst tr?ge, z?nkisch, ungeb?rdig, gefr??ig, fandest an nichts Gefallen, warst immer da, wo du nicht sein solltest, fielst allen zur Last, kurz, warst ein ganz unausstehlicher Bursche! – Tr?ste dich o Kater! Nicht aus deinem eigentlichen, tiefern Innern formte sich diese heillose Periode deines Lebens, nein, es war der Zoll, den du dem ?ber uns waltenden Prinzip dadurch darbrachtest, da? auch du dem b?sen Beispiel der Menschen, die diesen vor?bergehenden Zustand eingef?hrt haben, folgtest. Tr?ste dich o Kater! denn auch mir ist es nicht besser ergangen!

Mitten in meinen Lukubrationen ?berfiel mich eine Unlust – eine Unlust gleichsam der ?bers?ttigung von unverdaulichen Dingen, so da? ich ohne weiteres auf demselben Buch, worin ich gelesen, auf demselben Manuskript, woran ich geschrieben, mich zusammenkr?mmte und einschlief. Immer mehr und mehr nahm diese Tr?gheit zu, so da? ich zuletzt nicht mehr schreiben, nicht mehr lesen, nicht mehr springen, nicht mehr laufen, nicht mehr mit meinen Freunden im Keller, auf dem Dache, mich unterhalten mochte. Statt dessen f?hlte ich einen unwiderstehlichen Trieb, alles das zu tun, was dem Meister, was den Freunden nie angenehm sein, womit ich ihnen beschwerlich fallen mu?te. Was den Meister anlangt, so begn?gte er, lange Zeit hindurch, sich damit, mich fortzujagen, wenn ich zu meiner Lagerst?tte immer Pl?tze erkor, wo er mich durchaus nicht leiden konnte, bis er endlich gen?tigt wurde, mich etwas zu pr?geln. Immer wieder auf des Meisters Schreibtisch gesprungen, hatt' ich n?mlich so lange hin und her geschw?nzelt, bis die Spitze meines Schweifes in das gro?e Tintenfa? geraten, mit der ich nun auf Boden und Kanapee die sch?nsten Malereien ausf?hrte. Das brachte den Meister, der keinen Sinn f?r dieses Genre der Kunst zu haben schien, in Harnisch. Ich fl?chtete auf den Hof; aber beinah noch schlimmer ging es mir dort. Ein gro?er Kater von Ehrfurcht gebietendem Ansehen, hatte l?ngst sein Mi?fallen ?ber mein Betragen ge?u?ert; jetzt, da ich ihm freilich t?lpischerweise einen guten Bissen, den er zu verzehren eben im Begriff, vor dem Maule wegschnappen wollte, gab er mir ohne Umst?nde eine solche Menge Ohrfeigen von beiden Seiten, da? ich ganz bet?ubt wurde und mir beide Ohren bluteten. – Irre ich nicht, so war der w?rdige Herr mein Oheim, denn Minas Z?ge strahlten aus seinem Antlitz, und die Familien?hnlichkeit des Barts unleugbar. – Kurz, ich gestehe, da? ich mich in dieser Zeit in Unarten ersch?pfte, so da? der Meister sprach:»Ich wei? gar nicht, was dir ist, Murr! ich glaube am Ende, du bist jetzt in die L?mmeljahre getreten!«Der Meister hatte recht, es war meine verh?ngnisvolle L?mmelzeit, die ich ?berstehen mu?te, nach dem b?sen Beispiel der Menschen, die, wie gesagt, diesen heillosen Zustand, als durch ihre tiefste Natur bedingt, eingef?hrt haben. L?mmeljahre nennen sie diese Periode, unerachtet mancher Zeit seines Lebens nicht herauskommt; unsereins kann nur von L?mmelwochen reden, und ich meinerseits kam nun auf einmal heraus, mittels eines starken Rucks, der mir ein Bein oder ein paar Rippen h?tte kosten k?nnen. Eigentlich sprang ich heraus aus den L?mmelwochen auf vehemente Weise.

Ich mu? sagen, wie sich das begab:

Auf dem Hofe der Wohnung meines Meisters stand eine inwendig reich ausgepolsterte Maschine auf vier R?dern, wie ich nachher einsehen lernte, ein englischer Halbwagen. Nichts war in meiner damaligen Stimmung nat?rlicher, als da? mir die Lust ankam, mit M?he hinauf zu klettern und hinein zu kriechen in diese Maschine. Ich fand die darin befindlichen Kissen so angenehm, so anlockend, da? ich nun die mehrste Zeit in den Polstern des Wagens verschlief, vertr?umte.

Ein heftiger Sto?, dem ein Knattern, Klirren, Brausen, wirres L?rmen folgte, weckte mich, als eben s??e Bilder von Hasenbraten und dergleichen vor meiner Seele vor?bergingen. Wer schildert meinen j?hen Schreck, als ich wahrnahm, da? die ganze Maschine sich mit ohrbet?ubendem Get?se fortbewegte, mich hin und her schleudernd auf meinen Polstern. Die immer steigende und steigende Angst wurde Verzweiflung, ich wagte den entsetzlichen Sprung heraus aus der Maschine, ich h?rte das wiehernde Hohngel?chter h?llischer D?monen, ich h?rte ihre barbarischen Stimmen:»Katz – Katz, huz, huz!«hinter mir her kreischen, sinnlos rannte ich in voller Furie von dannen, Steine flogen mir nach, bis ich endlich hineingeriet in ein finsteres Gew?lbe, und ohnm?chtig niedersank.

Endlich war es mir, als h?re ich hin und her gehen ?ber meinem Haupte, und schlo? aus dem Schall der Tritte, da ich wohl schon ?hnliches erfahren, da? ich mich unter einer Treppe befinden m?sse. Es war dem so.

Als ich nun aber herausschlich, Himmel! da dehnten sich ?berall unabsehbare Stra?en vor mir aus, und eine Menge Menschen, von denen ich nicht einen einzigen kannte, wogte vor?ber. Kam noch hinzu, da? Wagen rasselten, Hunde laut bellten, ja, da? zuletzt eine ganze Schar, deren Waffen in der Sonne blitzten, die Stra?e einengte; da? dicht bei mir einer urpl?tzlich so ganz erschrecklich auf eine gro?e Trommel schlug, da? ich unwillk?rlich drei Ellen hoch aufsprang, ja, so konnte es nicht fehlen, da? eine seltsame Angst meine Brust erf?llte. Ich merkte nun wohl, da? ich mich in der Welt befand, in der Welt, die ich aus der Ferne von meinem Dache erblickt, oft nicht ohne Sehnsucht, ohne Neugierde, ja, mitten in dieser Welt stand ich nun, ein unerfahrner Fremdling. Behutsam spazierte ich dicht an den H?usern die Stra?e entlang, und begegnete endlich ein paar J?nglingen meines Geschlechts. Ich blieb stehen, ich versuchte ein Gespr?ch mit ihnen anzukn?pfen, aber sie begn?gten sich, mich mit funkelnden Augen anzuglotzen, und sprangen dann weiter.»Leichtsinnige Jugend «dacht' ich,»du wei?t nicht, wer es war, der dir in den Weg trat! – so gehen gro?e Geister durch die Welt, unerkannt, unbeachtet. – Das ist das Los sterblicher Weisheit!«– Ich rechnete auf gr??ere Teilnahme bei den Menschen, sprang auf einen hervorragenden Kellerhals, und stie? manches fr?hliche, wie ich glaubte, anlockende Miau aus; aber kalt, ohne Teilnahme, kaum sich nach mir umblickend, gingen alle vor?ber. Endlich gewahrte ich einen h?bschen, blondgelockten Knaben, der mich freundlich ansah, und, mit den Fingern schnalzend, rief:»Mies – Mies!«—»Sch?ne Seele, du verstehst mich endlich!«dacht' ich, sprang herab, und nahte mich ihm freundlich schnurrend. Er fing mich an zu streicheln, aber indem ich glaubte, mich dem freundlichen Gem?t ganz hingeben zu k?nnen, kniff er mich derma?en in den Schwanz, da? ich vor rasendem Schmerz aufschrie. Das eben schien dem t?ckischen B?sewicht rechte Freude zu machen; denn er lachte laut, hielt mich fest, und versuchte das h?llische Man?ver zu wiederholen. Da fa?te mich der tiefste Ingrimm, von dem Gedanken der Rache durchflammt, grub ich meine Krallen tief in seine H?nde, in sein Gesicht, so da? er aufkreischend mich fahren lie?. Aber in dem Augenblick h?rte ich auch rufen:»– Tyras – Kartusch – hez hez!«– Und laut blaffend setzten zwei Hunde hinter mir her. – Ich rannte, bis mir der Atem verging, sie waren mir auf den Fersen – keine Rettung. – Blind vor Angst fuhr ich hinein in das Fenster eines Erdgeschosses, da? die Scheiben zusammenklirrten, und ein paar Blument?pfe, die auf der Fensterbank gestanden, krachend hineinfielen in das St?bchen. Erschrocken fuhr eine Frau, die an einem Tisch sitzend arbeitete, in die H?he, rief dann:»Seht die abscheuliche Bestie«, ergriff einen Stock, und ging auf mich los. Aber meine zorngl?henden Augen, meine ausgestreckten Krallen, das Geheul der Verzweiflung, das ich ausstie?, hielten sie zur?ck, so da?, wie es in jenem Trauerspiel hei?t, der zum Schlagen aufgehobene Stock in der Luft gehemmt schien, und sie da stand, ein gemalter W?trich, parteilos zwischen Kraft und Willen! – In dem Augenblick ging die T?re auf, schnellen Entschlu? fassend, schl?pfte ich dem eintretenden Mann zwischen den Beinen durch, und war so gl?cklich, mich aus dem Hause herauszufinden auf die Stra?e.

Ganz ersch?pft, ganz entkr?ftigt, gelangte ich endlich zu einem einsamen Pl?tzchen, wo ich mich ein wenig niederlassen konnte. Da fing aber der w?tendste Hunger an, mich zu peinigen, und ich gedachte nun erst mit tiefem Schmerz des guten Meisters Abraham, von dem mich ein hartes Schicksal getrennt. Aber, wie ihn wiederfinden! – Ich blickte wehm?tig umher, und als ich keine M?glichkeit sah, den Weg zur R?ckkehr zu erforschen, traten mir die blanken Tr?nen in die Augen.

Doch neue Hoffnung ging in mir auf, als ich an der Ecke der Stra?e ein junges, freundliches M?dchen wahrnahm, die vor einem kleinen Tische sa?, vor dem die appetitlichsten Br?te und W?rste lagen. Ich n?herte mich langsam, sie l?chelte mich an, und um mich ihr gleich als einen J?ngling von guter Erziehung, von galanten Sitten darzustellen, machte ich einen h?heren, sch?neren Katzenbuckel als jemals. Ihr L?cheln wurde lautes Lachen.»Endlich eine sch?ne Seele, ein teilnehmendes Herz gefunden! – O Himmel, wie tut das wohl der wunden Brust!«So dachte ich, und langte mir eine von den W?rsten herab, aber in demselben Nu schrie auch das M?dchen laut auf, und h?tte mich der Schlag, den sie mit einem derben St?ck Holz nach mir f?hrte, getroffen, in der Tat, weder die Wurst, die ich mir im Vertrauen auf die Loyalit?t, auf die menschenfreundliche Tugend des M?dchens, herabgelangt, noch irgendeine andere, h?tte ich jemals mehr genossen. Meine letzte Kraft setzte ich daran, der Unholdin, die mich verfolgte, zu entrinnen. Das gelang mir, und ich erreichte endlich einen Platz, wo ich die Wurst in Ruhe verzehren konnte.

Nach dem frugalen Mahle kam viel Heiterkeit in mein Gem?t, und da eben die Sonne mir warm auf den Pelz schien, so f?hlte ich lebhaft, da? es doch sch?n sei auf dieser Erde. Als aber dann die kalte, feuchte Nacht einbrach, als ich kein weiches Lager fand wie bei meinem guten Meister, als ich, vor Frost starrend, vom Hunger auf's neue gepeinigt, am andern Morgen erwachte, da ?berfiel mich eine Trostlosigkeit, die an Verzweiflung grenzte.»Das ist«(so brach ich aus in laute Klagen)»also die Welt, in die du dich hineinsehntest von dem heimatlichen Dache? – Die Welt, wo du Tugend zu finden hofftest, und Weisheit, und die Sittlichkeit der h?hern Ausbildung! – O diese herzlosen Barbaren! – Worin besteht ihre Kraft als im Pr?geln? Worin ihr Verstand, als in hohnlachender Verspottung? Worin ihr ganzes Treiben, als in scheels?chtiger Verfolgung tieff?hlender Gem?ter? – O fort – fort aus dieser Welt voll Gleisnerei und Trug! – Nimm mich auf in deine k?hlen Schatten, s??er heimatlicher Keller! – O Boden – Ofen – o Einsamkeit, die mich erfreut, nach dir mein Herz, sich sehnt mit Schmerz!«

Der Gedanke meines Elends, meines hoffnungslosen Zustandes, ?bermannte mich. Ich kniff die Augen zu, und weinte sehr.

Bekannte T?ne schlugen an mein Ohr.»Murr – Murr! – geliebter Freund, wo kommst du her? Was ist mit dir geschehen?«

Ich schlug die Augen auf – der junge Ponto stand vor mir!

So sehr mich Ponto auch gekr?nkt hatte, doch war mir seine unverhoffte Erscheinung tr?stlich. Ich verga? die Unbill, die er mir angetan, erz?hlte ihm, wie sich alles mit mir begeben, stellte ihm unter vielen Tr?nen meine traurige, h?lflose Lage vor, schlo? damit, ihm zu klagen, da? mich ein t?tender Hunger qu?le.

Statt mir, wie ich geglaubt, seine Teilnahme zu bezeigen, brach der junge Ponto in ein schallendes Gel?chter aus.»Bist du nicht«, sprach er dann,»ein ausgemachter t?richter Geck, lieber Murr? – Erst setzt sich der Hase in eine Halbchaise hinein, wo er nicht hingeh?rt, schl?ft ein, erschrickt, als er weggefahren wird, springt hinaus in die Welt, wundert sich gar m?chtig, da? ihn, der kaum vor die T?re seines Hauses geguckt, niemand kennt, da? er mit seinen dummen Streichen ?berall schlecht ankommt, und ist dann so einf?ltig, nicht einmal den R?ckweg finden zu k?nnen zu seinem Herrn. – Sieh Freund Murr, immer hast du geprahlt mit deiner Wissenschaft, mit deiner Bildung, immer hast du vornehm getan gegen mich, und nun sitzest du da, verlassen, trostlos, und all' die gro?en Eigenschaften deines Geistes reichen nicht hin, dich zu belehren, wie du es anfangen mu?t, deinen Hunger zu stillen, und nach Hause zur?ckzufinden zu deinem Meister! – Und wenn sich nun der, den du tief unter dir glaubtest, nicht deiner annimmt, so stirbst du zuletzt eines elendiglichen Todes, und keine sterbliche Seele fr?gt was nach deinem Wissen, nach deinem Talent, und keiner von den Dichtern, denen du dich befreundet glaubtest, setzt ein freundliches: Hic jacet! auf die Stelle, wo du aus lauter Kurzsichtigkeit verschmachtetest! – Siehst du, da? ich wohl auch durch die Schule gelaufen bin und lateinische Brocken einmischen kann, trotz einem? – Aber du hungerst, armer Kater, und diesem Bed?rfnis mu? zuerst abgeholfen werden, komm nur mit mir.«

Der junge Ponto h?pfte fr?hlich vorauf, ich folgte niedergeschlagen, ganz zerknirscht ?ber seine Reden, die mir in meiner hungrigen Stimmung viel Wahres zu enthalten schienen. Doch wie erschrak ich als —

(Mak.-Bl.) – f?r den Herausgeber dieser Bl?tter das angenehmste Ereignis von der Welt, da? er das ganze merkw?rdige Gespr?ch Kreislers mit dem kleinen Geheimerat br?hwarm wieder erfuhr. Dadurch wurde er in den Stand gesetzt, Dir, geliebter Leser, wenigstens ein paar Bilder aus der fr?hern Jugendzeit des seltnen Mannes, dessen Biographie er aufzuschreiben gewisserma?en gen?tigt, vor die Augen zu bringen, und er vermeint, da?, was Zeichnung und Kolorit betrifft, diese Bilder wohl f?r charakteristisch und bedeutsam genug gelten k?nnen. Wenigstens mag man nach dem, was Kreisler von Tante F??chen und ihrer Laute erz?hlt, nicht daran zweifeln, da? die Musik mit all' ihrer wunderbaren Wehmut, mit all' ihrem Himmelsentz?cken, recht in die Brust des Knaben mit tausend Adern verwuchs, und nicht zum Verwundern mag's darum auch sein, da? eben dieser Brust, wird sie nur leise verwundet, gleich hei?es Herzblut entquillt. Auf zwei Momente aus dem Leben des geliebten Kapellmeisters war bemeldeter Herausgeber besonders begierig, ja wie man zu sagen pflegt, ganz versessen. N?mlich, auf welche Weise Meister Abraham in die Familie geriet und einwirkte auf den kleinen Johannes, und welche Katastrophe den ehrlichen Kreisler aus der Residenz warf und umstempelte zum Kapellmeister, welches er h?tte von Haus aus sein sollen, wiewohl man der ewigen Macht trauen darf, die jeden zu rechter Zeit an die rechte Stelle setzt. Manches ist dar?ber ausgemittelt worden, welches Du o Leser! sogleich erfahren sollst.

F?rs erste ist gar nicht daran zu zweifeln, da? zu G?ni?nesm?hl, wo Johannes Kreisler geboren und erzogen wurde, es einen Mann gab, der in seinem ganzen Wesen, in allem, was er unternahm, seltsam und eigent?mlich erschien. ?berhaupt ist das St?dtlein G?ni?nesm?hl seit jeher das wahre Paradies aller Sonderlinge gewesen, und Kreisler wuchs auf, umgeben von den seltsamsten Figuren, die einen desto st?rkern Eindruck auf ihn machen mu?ten, als er wenigstens w?hrend der Knabenzeit mit seinesgleichen keinen Umgang pflegte. Jener Mann trug aber mit einem bekannten Humoristen gleichen Namen, denn er hie? Abraham Liscov und war ein Orgelbauer, welches Metier er bisweilen tief verachtete, so da? man nicht recht wu?te, was er eigentlich wollte.

So wie Kreisler erz?hlt, wurde in der Familie von dem Herrn Liscov immer mit hoher Bewunderung gesprochen. Man nannte ihn den geschicktesten K?nstler, den es geben k?nne, und bedauerte nur, da? seine tollen Grillen, seine ausgelassenen Einf?lle ihn von jedermann entfernt hielten. Als einen besondern Gl?cksfall r?hmte dieser, jener, da? Herr Liscov wirklich da gewesen und seinen Fl?gel neu befiedert und gestimmt habe. Eben von Liscov's phantastischen Streichen wurde dann auch manches erz?hlt, welches auf den kleinen Johannes ganz besonders wirkte, so da? er sich von dem Mann, ohne ihn zu kennen, ein ganz bestimmtes Bild entwarf, sich nach ihm sehnte und als der Oheim versicherte, Herr Liscov w?rde vielleicht kommen und den schadhaften Fl?gel reparieren, jeden Morgen fragte, ob Herr Liscov denn nicht endlich erscheinen werde. Dieses Interesse des Knaben f?r den unbekannten Herrn Liscov steigerte sich aber bis zur h?chsten anstaunenden Ehrfurcht, als er in der Hauptkirche, die der Oheim in der Regel nicht zu besuchen pflegte, zum erstenmal die m?chtigen T?ne der gro?en sch?nen Orgel vernahm, und als der Oheim ihm sagte, niemand anders, als eben Herr Abraham Liscov habe dies herrliche Werk verfertigt. Von diesem Augenblick an verschwand auch das Bild, das Johannes sich von Herrn Liscov entworfen, und ein ganz anderes trat an seine Stelle. Herr Liscov mu?te nach des Knaben Meinung ein gro?er, sch?ner Mann sein, von stattlichem Ansehen, hell und stark sprechen, und vor allen Dingen einen pflaumfarbnen Rock tragen, mit breiten goldnen Tressen wie der Pate Kommerzienrat, der so gekleidet ging, und vor dessen reicher Tracht der kleine Johannes den tiefsten Respekt hegte.
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